: Schwule ticken im Park - quasilegale Gewalt im Dunkeln
Hohe Dunkelziffer bei gewalttätigen Angriffen auf Schwule / „Versteckte“ Homosexuelle sind ideale Opfer bei Überfällen durch zumeist jugendliche Täter ■ Von Hans-Hermann Kotte
Berlin, März 1989. In den öffentlichen Toiletten am Wilmersdorfer Preußenpark wird ein 51jähriger Schwuler von einer Gruppe Jugendlicher ausgeraubt und zusammengetreten. Der lebensgefährlich Verletzte erlangt erst acht Tage später wieder das Bewußtsein. Im Laufe des gleichen Monats werden der Polizei weitere elf Überfälle auf Schwule im Preußenpark bekannt.
Stuttgart, April 1989. Am Karfreitag wird in einer Herrentoilette im Stadtteil Bad Cannstadt ein ermordeter Mann aufgefunden. Die Polizei und die lokalen Schwulengruppen sagen übereinstimmend: Die Täter müssen davon ausgegangen sein, daß ihr Opfer ein Schwuler war.
Basel, April 1989. Auf einer öffentlichen Toilette wird nachts ein Schwuler von vier Jugendlichen bedroht und zusammengeschlagen. Schließlich übergießt ihn einer der Täter mit einem Becher Mofa-Benzin und steckt ihn an.
Wenige erstatten Anzeige
Gewalt gegen Schwule: Drohungen, Prügel, Raubüberfälle, Mord. Schwule aufmischen heißt das oder Schwule ticken, klopfen, kippen, klatschen. Die meist jugendlichen Täter schlagen in kleinen Gruppen dort zu, wo Schwule leichte Opfer sind. Im Park, auf der Klappe. Dort haben sie kaum Widerstand zu erwarten und sind vor Anzeigen weitgehend sicher. Wer Klappe oder Park aufsucht, will in der Regel anonym bleiben. „Versteckte“ Schwule, die hier vorzugsweise verkehren, sind ideale Opfer. Männer, die sich nicht offen zu ihrem Schwulsein bekennen, werden kaum Anzeige erstatten oder Zeugenaussagen machen, wenn ein Überfall geschehen ist. In dieser Vereinzelungssituation mangelt es an Solidarität - im physischen Widerstand ebenso, wie im schwierigen Umgang mit der Polizei. „Das Problem ist die Spaltung zwischen einer funktionierenden Infrastruktur der schwulen Szene und den Leuten, die sie nötig aber keinen Kontakt zu ihr haben“, meint der schwule AL-Abgeordnete Dieter Telge aus Berlin. So bleibt die Dunkelziffer bei Gewaltdelikten gegen Schwule weiter sehr hoch, trotz Rosa Telefon und anderen schwulen Beratungsstellen, die beim Kontakt mit der Polizei Beistand anbieten.
In der kriminologischen Forschung spielt Gewalt gegen Schwule so gut wie keine Rolle. In der Bundesrepublik gibt es bisher keine verläßlichen Daten, Forschungen oder Statistiken über das Ausmaß der Gewalt. „Der Großteil solcher Studien stammt aus den USA“, meint Günter Dworek vom Bundesverband Homosexualität. „In den Vereinigten Staaten wird davon ausgegangen, daß 50 Prozent der Schwulen mindestens einmal in ihrem Leben mit Gewalt bedroht und 20 Prozent bereits einmal im Leben attackiert wurden.“ Die Dunkelziffer werde in diesen Studien auf 80 Prozent der Gewalttaten geschätzt. Selbst wenn die Zahlen nicht ohne weiteres auf die Bunderepublik übertragbar seien, vermittelten sie doch etwas über die Größenordnung der Gewalt. „Wenn eine Sache zur Anzeige kommt, sind zehn andere passiert“, beschreibt der Berliner Hauptkommisar Heinz Uth vom für den Wilmersdorfer Preußenpark zuständigen 6. Kommisariat die Situation. Uth geht von einer hohen Dunkelziffer aus, „wie etwa bei Gewalt gegen Kinder oder in der Ehe“.
„Normales Mißtrauen“ gegen die Polizei
„Normales Mißtrauen“ herrsche zwischen den Schwulen und der Polizei, meint der Beamte. Kein Wunder. Sind doch Klappenrazzien, Observationen mit Einwegspiegeln und polizeiliche Schwulenhatz in Parks aus den 70er Jahren den Schwulen noch in unguter Erinnerung. Auch trägt das langfristige Horten der persönlichen Daten von Schwulen in sogenannten „Rosa Listen“, wie unlängst in Köln und Stuttgart aufgedeckt, nicht gerade zur Vertrauensbildung bei. Nach dem obengenannten Stuttgarter Mordfall „stocherte die Polizei willkürlich und planlos in der Schwulenszene herum“, meint Frank Hoyer vom Stuttgarter „Verein für Sexuelle Emanzipation“. So sei es zu unmotivierten Vorladungen von Schwulen gekommen, die Jahre zuvor in der Nähe des Tatorts in Personenkontrollen geraten waren. Entgegen der Strafprozeßordnung wurden von Schwulen, die ausdrücklich als Zeugen geladen waren, Fingerabdrücke genommen und Polaroidfotos gemacht. „Die denken, es gibt in Stuttgart 50 Schwule, die sich alle untereinander kennen, und meinen, die müsse man nur alle vorladen und dann hätten sie Opfer bzw. Täter“, beschreibt Hoyer die Stuttgarter Ermittlungsmethoden und kritisiert, „daß die Polizei Schwule oft per se im kriminellen Milieu ansiedelt.“
Wenn auch in Berlin das Verhältnis von Schwulen und Polizei nicht so gespannt ist wie in Stuttgart, Vorurteile muß auch Hauptkommisar Heinz Uth einräumen: Was die Akzeptanz schwuler Treffs wie Klappe und Park angehe, gebe es unter den Beamten „so 'ne und solche“, dominiere das „Mittelmaß zwischen Duldung und Verdrängung“, eben die „Haltung des Durchschnittsbürgers“.
Diese gängige Unerwünschtheit von Schwulen, diese (Vor)urteile über ihre „Minderwertigkeit“ sind es auch, die den meist jugendlichen Tätern ihr brutales und von keinem Unrechtsbewußtsein getrübtes Vorgehen erlauben. Schwule ticken ist quasi legal. So gaben jugendliche Schläger aus Basel an, sie hätten „sich dabei nichts gedacht“. Es sei doch „lustig gewesen“. Die Täter vom Berliner Preußenpark sagten aus, sie hätten ihre Stricherfreunde „rächen“ wollen, außerdem seien sie von Schwulen „angemacht“ worden. Daß Schwierigkeiten mit der eigenen Sexualität, die Verdrängung homosexueller Neigungen als untergründiges Tatmotiv ebenso eine Rolle spielen, wie die Selbstbestätigung in der Gruppe und der relativ „einfache“ Aggressionsabbau an den meist wehrlosen Opfern, wird von Telge, Hoyer und Dworek übereinstimmend bestätigt. Dworek: „Die personale Gewalt ist keine isolierte Erscheinung, begangen von einigen Durchgeknallten, sondern die extremste Praxisform gesellschaftlicher Homophobie.“
Abwehrstrategien
Daß die anti-schwule Gewalt in der Schwulenszene breit diskutiert werden muß, ist Konsens. Doch bei den Abwehrstrategien gibt es neben der Sensibilisierung von Bevölkerung und Polizei unterschiedliche Schwerpunkte. In Basel wurde als konkrete Maßnahme die Trillerpfeife als Warnsignal für den Park wieder einmal zur Debatte gestellt. Daneben soll eine Form der Solidarisierung mit den „versteckten“ Schwulen gefunden werden, außerdem müsse in Basel endlich ein Schwulenzentrum her.
In Stuttgart, wo die Gewaltdiskussion nach dem jüngsten Mordfall heftig entbrannt ist, wird inzwischen eine Kooperation von Schwulen und Polizei diskutiert. So boten die Stuttgarter Schwulengruppen der Polizei an, die Aussage und Anzeigebereitschaft durch Aufrufe zu steigern. Bei Aussagen könnten schwule Beratungseinrichtungen als „Zwischenstation“ fungieren. Vorraussetzung dafür sei aber, daß die Polizei sich bei Gewalttaten an die schwulen Selbstorganisationen wende und nicht ziellos in der Szene herumforsche. Die Polizei solle Parks und Klappen als soziale Orte der Schwulen akzeptieren und deutlich machen, daß ihre Präsenz an diesen Orten dem Schutz der Schwulen und nicht ihrer Kontrolle diene. Als konkrete Maßnahmen könnten dann, wie in den Niederlanden und einigen bundesdeutschen Städten bereits üblich, schwule Zeugen bei ihrer Aussage eine Vertrauensperson hinzuziehen und die Polizei sich von Schwulengruppen „weiterbilden“ lassen. Hoyer: „Damit die Beamten ihr Schwulenbild nicht mehr der 'Neuen Revue‘ oder ähnlichem entnehmen müssen.“
Gewalt nimmt zu
In Berlin ist der schwule Infoladen „Mann-O-Meter“ bisher einziger Ansprechpartner nach Attacken. Dort werden Meldungen von Überfällen aufgenommen, wird Opfern von Gewalt „psychische Unterstützung“ gegeben. Thomas Symalla von „Mann -O-Meter“: „In den letzten Monaten registrieren wir verstärkt Anrufe.“ Deshalb sollen hier jetzt Informationen über Gewalttaten gesammelt und ausgewertet werden. Das sogenannte „Razzientelefon“, bei dem früher Übergriffe der Polizei gemeldet werden konnten, das sich dann aber zu einer Sammelstelle für Überfälle wandelte, gibt es nicht mehr.
Fehlende Informationen und Diskussionen bemängelt auch Peter Kunz, Sprecher der Berliner „Schwusos“, der Homo -Organisation der SPD. Er will, weil er selbst unlängst zusammengeschlagen wurde, eine Selbsthilfegruppe gründen. Außerdem peilen die „Schwusos“ für die Zukunft auch ein Gespräch mit der Polizei an.
Warum die anti-homosexuelle Gewalt in Berlin bisher nicht breiter diskutiert wird, wie etwa in Frankfurt, Bremen oder Stuttgart, kann auch der Journalist Jürgen Biniek vom Berliner Schwulen- und Lesben-Sender „Eldoradio“ nur vermuten. „In den anderen Städten wurde in der Presse stärker berichtet. Außerdem gibt es dort weit weniger Schwulengruppen, die Szene ist nicht so aufgefächert, und es fehlt dort vielleicht auch diese typische Großstadtignoranz.“ Eine verstärkte Diskussion über Gewalt gegen Schwule in der Berliner Szene befürwortet auch der schwule AL-Abgeordnete Dieter Telge. Bevor kein klarer eigener Standpunkt der schwulen Organisationenen gefunden sei, hält Telge von Schwulen initiierte Fortbildungsmaßnahmen für die Polizei „eher für fragwürdig“. Er setzt auf eine „offensivere Selbstorganisation“, die auch die „versteckten“, vereinzelten Schwulen miteinbezieht. Außerdem könnten Selbstverteidigungskurse den Schwulen helfen, anders aufzutreten und der „Opferrolle“ zu entkommen. Telge: „Wenn wir offensiver werden, brauchen wir die Polizei eigentlich nicht.“
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