„Hunger, kalt, Angst“

■ Der neue Film von Tefik Baser „Abschied vom falschen Paradies“ läuft an

„Wenn Du Deine Tochter nicht schlägst, schlägst Du Dich irgendwann selbst.“ Tevfik Baser, türkischer Regisseur mit Auszeichnung („40 m2 Deutschland“), ist nicht besonders hoffnungsvoll. Angesprochen auf die Situation der Frau in der türkischen Gesellschaft und im fremden Deutschland sieht er wenig Positives. „Ich phantasiere nicht. Ich muß mit den Tatsachen leben“, sagte er der taz, „ich will und kann da nichts beschönigen.“

Nachdem in seinem neuen Film symbolisch eine Gefängniswand durchschlagen wird („Ich bin gegen Gefängnisstrafen“) zeigt die Kamera eine lethargische Frau (Zuhal Olcay) auf ihrer Pritsche. Mehr aus Versehen als absichtlich läßt sie ein Wasserglas fallen, geht barfüßig über die Scherben, und nimmt dann ein Stück scharfes Glas.... Der Beginn des Films Abschied vom falschen Paradies verfehlt seine Wirkung nicht. In Rückblenden wird erzählt, warum die junge Türkin in den Knast gekommen ist. Eine blutüberströmte männliche Leiche, schreiende Angehörige, Polizei. Dann türkische Frauen mit la

chenden Gesichtern beim Wäschewaschen im Fluß. Die ersten Knasterfahrungen von Elif, die nach Vergewaltigungen und Schlägen ihren Mann umbrachte. Hilflos und verängstigt kauert sie in einer Ecke. Hunger, kalt, Angst sind einige der ersten deutschen Worte, die sie lernt.

„Frauen in der Türkei leben in einer Frauengesellschaft, Männer in der ihren. Es besteht eine verständnislose Sprachlosigkeit zwischen den Geschlechtern. Religion und Bräuche zementieren das patriarchalische System, zudem wird die Heirat oft fremdbestimmt. Nachdem meine Filmfigur Elif immer in einer Großfamilie gelebt hat, ist sie nun auf sich gestellt. Sie muß sich allein bewähren; trotz der Knastsituation ist sie freier als zuvor.“ (Baser)

Es sei das zentrale Anliegen seines Filmes, die Veränderung der jungen Frau zu dokumentieren, ein Knastfilm sei dabei nicht entstanden, betont der Regisseur. Ganz überzeugt er dabei nicht. Ein Film in der extremen Situation eines Gefängnisses kann nicht von seiner Umgebung abstrahiert werden. Das Verhalten

der Insassinnen untereinander ist vorwiegend solidarisch und verständnisvoll, nur ihre Landsfrauen begegnen ihr mit unverhohlener Ablehnung. „Sie haben Angst, ihre eigene Identität zu verlieren“, sagt Baser. Diese Identitätsprobleme bemüht sich Elif zu lösen, nur für sich allein, doch das Scheitern scheint vorprogrammiert. „Man müßte Mann sein, die kriegen höchstens sechs Jahre wegen Totschlag. Überall haben sie Vorteile, sogar beim Töten“, sagt eine deutsche Gefangene. Elif ist sogar noch weiter im Nachteil. Die Familie des Ehemannes droht ihr offen mit dem Tod und nach der erfolgten Ausweisung aus der BRD wartet eine weitere Verurteilung in der Türkei auf sie. Elif vergeht vor Angst um die Zukunft, all ihre fragile Zuversicht ist geschwunden. So kehrt der Abschied vom falschen Paradies zurück zur Ausgangssituation. Der Abschied der Anstaltsleitung klingt zynisch: „Sie sind frei.“ Tevfik Baser erlöst das Publikum nicht. Er phantasiert - aber nur ein bißchen. Jürgen Franck

Ab Do in der Schauburg