STROH- STATT LAGERFEUER

■ Freitagnacht rund ums Podium: Es knistert die dezentrale Kultur

Kommt ein Eimer mit ein paar verblühten Rosen - am Henkel ein Künstler - ins Kreuzberger Rathaus: Wo bitte geht's hier zur dezentralen Kulturarbeit? Und wenn, was ist das? Darüber kann man gar nicht genug diskutieren, denn jetzt wird es ernst mit der dezentralen Kulturarbeit: Am Dienstag soll eine Senatsvorlage zu diesem Thema abgesegnet werden, und da geht es um sechs Millionen Mark und 48 Stellen.

Sollen dafür etwa Blockflöten für alle Berliner angeschafft werden? Gegen diesen Pauschalvorwurf der verstaubten Hausmusik mußte sich gleich mal verwahrt werden. Aber was ist dezentrale Kultur dann? Dezentrale Kulturarbeit ist gegen Videotheken und Republikaner, ansonsten relativ abstrakt, aber sozial, ohne dabei Sozialarbeit zu sein. Dezentrale Kulturarbeit holt den Kudamm vom Sockel, macht den Menschen Mut, die dann keine russische Kunst in Spandau haben wollen. Sie entscheiden sich fortan selbst, gegen die Ohnmacht und für die direkte Kommunikation. Kurzum: Dezentrale Kultur ist die Aufhebung der Klassenstrukturen, wie es Krista Tebbe vom Kunstamt formuliert. Aber wenn es ums Konkrete geht, wird nur klar, was dezentrale Kulturarbeit eben nicht sein will.

Um dieser lästigen Definitionsdebatte zu entkommen, setzt Krista Tebbe den Schlußpunkt: Was das ist, kann man nicht genau sagen, das muß man machen - so oder so. Denn längst ist die Debatte ein Stück weiter: Was SPD/AL unter Zeitdruck für die Koalitionsvereinbarung zusammengeschustert haben, kommt jetzt ebenso unausgegoren in die Verwaltung, die schon gar nichts mit diesem Begriff anfangen kann, ihn trotzdem zu verwalten hat. Jetzt heißt es, erst mal den Fuß in die Tür stellen, meint Joachim Günther vo der SPD: 400.000 Mark pro Jahr und Bezirk, das ist nicht viel, will aber gleichwohl verteilt sein, ebenso wie die Stellen. Bislang ist vorgesehen, diese Stellen beim Volksbildungsstadtrat unterzubringen, aber was hat der für eine Ahnung und was für eine Haltung, von und zur Kultur?

Wenn in jedem Bezirk ein Heimatmuseum eingerichtet wird, kann das doch nicht der Anfang eines neuen Kulturverständnisses sein. Langsam regt sich der Unmut im Publikum, das zum größten Teil aus freien Kunstschaffenden bestand, die von den sechs Millionen auch gern ein Tröpfchen abhätten. Freie Initiativen, so befürchten sie nicht zu Unrecht, würden da wieder leer ausgehen. So wird aus dezentral bezirkszentral, und bis auf ein paar kosmetische Korrekturen passiert gar nix. Wer soll den die sechs Millionen verteilen? Ein Beirat. Aber wer sitzt da drin? Die da oben würden sich wieder zurechtmauscheln, maulten die Künstler, aber das gilt nicht mehr: „Wenn man rot/grün spielt, ist jeder verantwortlich“, so die Aufforderung an die freien Gruppen, doch bitte bei ihrer weiterhin miesen Zukunft solidarisch dabei zu sein. Außerdem handele es sich zunächst um eine zweijährige Modellphase, in der man den rot -grünen Politikern mal ein neues Kulturverständnis einbläuen könnte, und danach würde alles besser und das Geld mehr.

Da platzte UFA-Juppie der Kragen: „Dieser Trick ist mittlerweile 15 Jahre alt und schon von allen vorherigen Senaten erfolgreich angewendet worden.“ Nach diesen Vorstellungen werde der Beirat zum Buhmann, und die freien Gruppen würden sich untereinander um ein paar Mark mehr schlagen. Und solange man in dieser Stadt noch nicht mal ein Lagerfeuer machen könne, braucht man nicht über Kultur zu reden.

Die Stimmung ist gegen die neuen Verwalter, auch gegen die neuen Repräsentanten einer angeblich neuen, nämlich dezentralen Kulturarbeit. So bleibt Kulturarbeit Trauerarbeit, aber die Schuldigen dafür haben die auf dem Podium schon gefunden: Es war der alte Senat, der wußte, was er wollte: zentral zuschlagen und dezentral zerschlagen.

Lutz Ehrlich