Tennis als Computerspiel

Die ATP-Weltrangliste, eine komplizierte Rechnerei Boni für Hospitality und Vielspieler / Boris‘ Wert: 30 Punkte  ■  PRESS-SCHLAG

Am Montag nach jedem Tennisturnier ist für die Profis der Tag der Abrechnung. In New York und Paris spucken dann Computer der Association of Tennis Professionals (ATP) die aktuelle Weltrangliste aus: der Marktwert der 1.187 augenblicklich klassifizierten Profis wird unbarmherzig festgelegt.

Kaum jemand versteht das Auf und Ab in den langen Zahlenkolonnen der ATP, doch das scheinbar Mysteriöse folgt einem genauen Regelwerk. Die Spielervereinigung ATP, die im kommenden Jahr auch alle Grand-Prix-Turniere unter ihre Fittiche nimmt, hat 1973 ein kompliziertes Punktesystem entwickelt, das das aktuelle Turniergeschehen in seiner Gesamtheit erfaßt; vorausgesetzt, wenigstens 32 Spieler kämpfen bei einem Wettbewerb um mindesten 25.000 Dollar.

Turnierangebote gibt es reichlich: Berücksichtigung finden derzeit 78 Grand-Prix-Veranstaltungen in 22 Ländern (Preisgelder: 28 Millionen Dollar), dazu über 100 weitere sogenannte Challenge- und Satellite-Turniere. Gutgeschrieben werden jedem Spieler die Ergebnisse der letzten 52 Wochen. Seine Punkte errechnen sich nach sportlichem Abschneiden, Größe des Feldes, Wertigkeit der Gegner und der Höhe des Preisgeldes eines Turniers.

Alle Turniere sind mit ATP-Sternen kategorisiert. Hamburg, dotiert mit 692.500 Dollar, hatte zum Beispiel 17 Sterne. Wimbledon mit dem größtmöglichen Teilnehmerfeld von 128 und höherer Gewinnsumme erreicht die maximale Sternezahl 40. Einen Extrapunkt bekommt als Veranstalter, wer für freien Aufenthalt in ATP-geprüften Hotels besondere „hospitality“ beweist. Wimbledon kostet das immerhin 100.000 Dollar für zwei Wochen.

So erhielt Ivan Lendl, Gewinner in Hamburg, 180 Punkte, Finalist Horst Skoff 75 Prozent davon, die Halbfinalisten 50 Prozent etc. Interessant sind die Bonuspunkte, die für Erfolge über besser plazierte Gegner vergeben werden. Boris Becker ist wie die anderen vier Besten der Rangliste 30 Punkte wert, Michael Chang als bislang 19. nur noch 16.

Die Plazierung der Spieler errechnet sich aus der in den vergangenen 52 Wochen durchschnittlich pro Turnier erreichten Punktezahl. Da jeder mindesten 12 Pflichtturniere spielen muß, wird die Gesamtpunktzahl durch diese Zahl geteilt. Lendl führt souverän (Stand vor Paris) mit genau 184,8333 Punkten. Pat Cash, Wimbledongewinner 1987, fiel auf Rang 56 zurück, weil bei ihm nur sieben Turniere in die Wertung kommen. Geteilt wird trotzdem durch zwölf.

Der „Vielspielerbonus“ interessiert die guten Profis weniger, sie richten den Turnierplan nach den Preisgeldern, also dem Sterne-Faktor. Nicht nur der Dollar, sondern der Punkte wegen lassen sie sich bei kleineren Turnieren nicht blicken.

Am Tag nach dem Pariser Finale, auch hier waren 128 am Start, spucken die Computer wieder neue Listen aus. Und sagen: Chang ist jetzt Sechster.

Karl-Wilhelm Götte