REPs mobilisierten ihr Potential

■ Klarer Dämpfer für Kohl / Koalition hätte keine Mehrheit mehr / REPs erhielten Zulauf von allen Seiten und konnten massiv frühere Nichtwähler gewinnen / Ihr Erfolg ist mit sozio-ökonomischen Merkmalen nicht zu erklären

Bonn (dpa) - Die Wahlanalytiker des Instituts für angewandte Sozialwissenschaften (Infas) in Bonn sehen im Ergebnis der Europawahl einen klaren Dämpfer für Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU). Noch strittig ist nach ihrer Einschätzung, ob sich die „Republikaner“ mit ihrem deutlichen Erfolg bereits fest unter den Parteien etabliert haben.

Wer die Europawahl vom Juni mit den beiden anderen Wahlgängen dieses Jahres vergleicht, die so viel Aufregung und Wechsel gebracht hatten, wird sich kaum zu wundern haben: Wie in Berlin im Januar und in Hessen im März gab es mit den Christdemokraten einen großen Verlierer, mit den „Republikanern“ einen großen Gewinner; die Sozialdemokraten mußten sich damals mit bescheidenen Zuwachsraten begnügen, auch wenn diese in Berlin und Frankfurt für den Regierungswechsel ausreichten.

Die Schubkräfte, die diese lokalen Bewegungen ausgelöst hatten, wirkten sich am 18.Juni bundesweit aus und hatten einige bemerkenswerte Folgen:

-Zum erstenmal konnten bei einer Bundestagswahl fünf Parteien die Sperrklausel überwinden und in ein Parlament einziehen.

-Und: Wenn es eine Bundestagswahl gewesen wäre, hätte sich rechnerisch keine Koalitionsmehrheit von zwei Parteien (außer einer Großen Koalition) ergeben.

Die Wanderungsbewegungen, die Infas im Rahmen der Wahlberichterstattung für den Zeitraum von 1984 bis 1989 errechnet hat, unterscheiden sich wohl im Ausmaß, nicht aber in der Richtung von den Bilanzen aus Berlin oder Hessen: Die Union hat in erster Linie an die „Republikaner“ (im Saldo gut 750.000), in zweiter Linie an die SPD (im Saldo knapp 400.000), in dritter Linie an die FDP (im Saldo fast 200.000) verloren. Die SPD hat ihrerseits Wählerstimmen an die „Republikaner“ (im Saldo knapp 150.000) und an die Grünen (rund 80.000) abgeben müssen.

Die „Republikaner“ ihrerseits erhielten Zulauf von allen Seiten. Rund ein Drittel ihrer zwei Millionen Wähler konnten sie aus dem Reservoir früherer Nicht-Wähler mobilisieren: Eine erstaunliche Zahl, die anhand der vorliegenden Daten zu überprüfen sein wird. Anders gesagt: Nicht zuletzt den „Republikanern“ ist die gestiegene Wahlbeteiligung zu verdanken. Diese höhere Wahlbeteiligung auf der „Südschiene“ ist für sich genommen das auffälligste Merkmal dieser Wahl, weil es den spektakulären Erfolg der Rechtspartei erklärt. Bei der Europawahl von 1984 war mehr als die Hälfte der Wähler in Bayern und Baden-Württemberg der Wahl fern geblieben, viele von ihnen - vor allem im ländlichen Milieu

-aus Protest gegen die unbeliebte Europapolitik. Eine Alternative hatte sich seinerzeit nicht geboten. Franz Schönhuber schöpfte dieses Reservoir weiterhin für sich aus. Die regionale Struktur der neuen „rechten Hochburgen“ ist mit sozioökonomischen Merkmalen allein nicht zu erklären. Es handelt sich bei ihnen gerade nicht um wirtschaftlich oder sozial besonders bedrohte Regionen, mit hoher Arbeitslosigkeit, Engpässen auf dem Wohnungsmarkt oder überdurchschnittlichen Ausländerzahlen. Es handelt sich dabei auch nicht durchgängig um Traditionsgebiete früherer rechtsradikaler Gruppierungen.