Wahlkater bei CDU und SPD

■ Nach der Europawahl: Kohl spricht von „schwerer Niederlage“ / SPD ernüchtert / Waigel: „Heilsamer Schock“

Bonn (dpa/taz) - Den beiden großen Bonner Parteien steckte der Wahlkater offenkundig tief in den Knochen. Bundeskanzler Helmut Kohl lamentierte gestern in Bonn über die „schmerzliche“ Niederlage seiner Partei, während CSU-Chef Theo Waigel angesichts von 15 Prozent für die „Republikaner“ in Bayern über einen „heilsamen Schock“ für die Unionsparteien räsonierte.

Die Asylpolitik und die schlechte Wohnungsversorgung sah Kohl als die beiden entscheidenden Defizite der Regierungspolitik. Auch an Appellen ließ er es nicht fehlen: „Wir müssen jetzt zusammenstehen.“ Den Erfolg der Rechten führte Kohl auf ein „beachtliches Maß an Angst vor der EG“ sowie auf das Thema „Wiedervereinigung“ zurück, während Vorstandsmitglied Kurt Biedenkopf auch schon bemerkt hatte: „Da ist ein neuer politischer Gegner entstanden.“ Ab jetzt will Kohl sogar „persönlich“ darüber wachen, daß es für die Union „auf keiner Ebene“ eine Zusammenarbeit mit den Rechtsradikalen geben wird.

Einmütig betonte die Führungsriege der CDU gestern, daß auch nach dem Wahldebakel weder Kohl noch Generalsekretär Geißler gestürzt werden sollen.

Große Ernüchterung gab es bei den Sozialdemokraten. „Es gibt nichts daran herumzudeuteln. Wir haben unser Wahlziel, stärkste Kraft zu werden, nicht erreicht“, hieß es im Erich -Ollenhauer-Haus. Im Präsidium wurde derweil nach dem Schuldigen Ausschau gehalten. Am Wahlkampf wurde harsche Kritik geübt und die SPD-Wahlparole „Wir sind Europa“ als „Argumentationsnotstand“ bezeichnet.

Freude kam bei den Genossen über das schlechte Abschneiden von SPD-„Angstgegner“ Lothar Späth in Baden-Württemberg auf. „Damit ist der CDU-Hoffnungsträger verbrannt. Helmut Kohl bleibt uns für 1990 erhalten.“

Die FPD, die mit 5,6 Prozent nur knapp den Sprung ins Europaparlament schaffte, frohlockte. Nach einer Serie von zermürbenden Wahlniederlagen konnte Graf Lambsdorf erstmals seit seinem Amtsantritt im letzten Oktober eine Siegesbotschaft verkünden.

Die Grünen wollen im neugewählten Europaparlament - wer hätte es anders erwartet - vor allem den Rechtextremismus bekämpfen und machten die Bundesregierung für die Stärkung der rechtsradikalen Parteien mit verantwortlich.

bam