Mittsommernachtshavarie

■ Bremerhaven - Spitzbergen und retour: der kurze Leidensweg der Maxim G.

Auf acht Tage und Nächte war das „unvergessliche Erlebnis“ angelegt. Für 4.200 Mark zur Sommersonnenwende ins polare Packeis - mit prallen Bildern und verlockenden Beschreibungen hatte das Bonner Reisebüro „Phönix“ nahezu 600 bundesdeutsche Erlebnishungrige zu einer Bootsfahrt auf dem sowjetischen Luxusliner „Maxim Gorki“ bewegt.

Gestern nacht fast pünktlich zur Geisterstunde erreichte die Reise ihren Höhepunkt. Ob die Bordkapelle noch spielte, der Titanic-Video noch auflag, wir wissen es nicht. Der Eisberg, der im Wege stand, der aber ist gesichert. Auch seine Position: siebenundsiebzig Grad dreiunddreißig Minuten Nord und vier Grad neunzehn Minuten Ost. Seit den frühen Morgenstunden überschlugen sich in der Folge die Ka

tastrophenmeldungen. Bei heller Mitternachtssonne seien halbtrunkene Schiffsbrüchige in schlecht sitzenden Pyjamas auf kühlen Eisschollen gesichtet worden, schockiert und ernüchtert ob des nicht angekündigten Abenteuers. Erwähnenswert insbesondere die stündliche Berichterstattung des ffn-Reporters vor Ort. Mit sich überschlagener Stimme, gehetzt von der Dramatik der Ereignisse, kämpfte Hans -Joachim Schelde einen unermüdlichen Telefon-Kampf gegen alle beruhigende Besserwisserei der Nachrichtenagenturen. Noch bis in den frühen Abend wußte er mit immer neuen Hiobsbotschaften aufzuwarten. Und ließ die kleinen Hoffnungsschimmer doch nicht aus. Daß die Lutherische Kirche auf Spitzbergen ein Auffanglager für die mittlerweile angelandeten Passagiere der „Maxim Gorki“ eingerichtet habe, rief er uns durch den Äther zu, und daß sie mit deutschen Volksliedern bei Laune gehalten werden. Immerhin: „Das ist„doch ein kleiner Trost am Ende der Welt in der Arktis“.

Unsere Sorge um das Wohl der bremischen Gäste an Bord konnte und wollte uns gestern keiner zerstreuen. Das veranstaltende Reisebüro erklärte sich für überfordert, der taz die Anzahl der BremerInnen unter den 560 Bundesdeutschen herauszusuchen. Und der Telefonkontakt mit der Reederei des Havaristen, der „Black Sea Shipping Company“ in Odessa am Schwarzen Meer kam aus unerfindlichen Gründen nicht zustande.

So mußten wir uns auf die Suche nach den Ursachen des Unglücks verlegen. Bei der Lloyd-Werft in Bremerhaven, die das Schiff bereits viermal zu Umbau-und Reparaturarbeiten im Dock hatte, das letzte Mal im April/Mai 1988, wurde uns glaubhaft versichert, daß der Luxusliner keine Schraube locker hatte und so

wieso sich in „einem Top-Zustand“ befinde. Lloyd habe, so der Geschäftsführer Haake, vor allem das Interieur des Schiffes auf Vordermann gebracht: den gesamten Gesellschaftsbereich, die Gänge und Treppenhäuser sowie alle Passagierkabinen. Das Schiff sei mit den modernsten Navigationsausrüstungen bestückt gewesen, mit Echolot und Sonar, mit Radar und gar mit Satellitennavigation. Deshalb auch sei eine Erklärung für den Zwischenfall für ihn noch nicht in Sicht, sagte Haake. „Ein Auto fährt ja auch

schon mal gegen einen Baum.“

Das unvergessliche Erlebnis der Packeis-Durchquerung wird der Bremerhavener Werft wohl einen neuen Großauftrag bescheren. Die telefonische Anfrage aus Moskau, ob denn augenblicklich Kapazitäten frei seien, kam bereits wenige Stunden nach der Havarie. So wird sich Maxim G. in den nächsten Wochen schwer angeschlagen auf den Heimweg von Spitzbergen nach Bremerhaven machen, schleppend.

Andreas Hoetzel