Stelzen als Krücken der Stadtplanung

■ Neustadt: Als Folge Bremer Ansiedlungspolitik erstickt ein Stadtteil im Verkehr / Einwohnerversammlung bereitete Kunick heißen Abend

„Ich baue nie wieder Hochstraßen“, hat er sich vor Jahren geschworen, Bremens oberster beamteter Stadtplaner, Senatsdirektor Manfred Osthaus. Noch kein halbes Jahr als Stellvertreter von Bausenator Kunick in Amt und die schwere Last vergangener Bremer Gewerbeansiedlungspolitik auf den Schultern, ging Osthaus bereits in die Knie und bezog dafür am Montag abend auf einer Einwohnerversammlung in der Neustadt, zusammen mit seinem Senator und dem Chef der Straßenbauamtes, Horst Bullermann,

kräftig Prügel. 150 zumeist empörte NeustädterInnen, zumeist AnwohnerInnen der Neuenlanderstraße, waren gekommen, um an der richtigen Adresse all ihren Frust abzuladen.

Und der ist groß. 46.000 Autos donnern täglich durch die Neuenlander Straße, darunter immer mehr LKW's. Und gerade die großen, lauten, stinkigen Brummer werden sich bis zum Jahr 2000 noch einmal verdoppeln: Verantwortlich dafür ist das Güterverkehrszentrum (GVZ). Zahlreiche Speditionsfirmen ha

ben sich hier in der Nähe des Neustädterhafens angesiedelt und fahren nun die Container via Neuenlander Straße gen Autobahn. Obwohl die unerträgliche Verkehrssituation bereits Alltag ist, drückte die Wirtschaftsbehörde ein weiteres Großprojekt an der Neuenlanderstraße durch: den Spielzeug -Großmarkt Toys. Absehbare Folge: Der völlige Zusammenbruch des Verkehrs und das Ausweichen der Autos in die Wohnquartiere.

Wenn der Hase Stadtentwicklung dem Igel Gewerbeansied

lung wieder mal weit hinterherläuft, kommen allemal neue Trassen ins Gespräch. Und so präsentierte Straßenbauer Bullermann den mit Verkehrsblockaden drohenden Anwohnern eine neue Variante des Bremer Straßenmodells. Motto: Wenn auf der Erde kein Platz mehr ist, dann gehen wir in die Luft. Fly over, nennt sich das in Planer-Lyrik und beginnen soll das Betonwerk an der Senator-Appelt-Straße. Dann soll das Stelzenwerk unter der B 75 hindurch, am Flughafen vorbei, schließlich Höhe Kirchweg wieder auf die Neuenlanderstraße geführt werden. Weil das Chaos akut droht, eine Hochstraße aber nicht bis morgen gebaut ist, soll erst einmal die Neuenlander Straße verbreitert werden. „Nur an den Kreuzungen“, versprach Kunick ehe er den schimpfenden AnwohnerInnen entfloh, um Verwandte aus der DDR vom Bremer Bahnhof abzuholen.

Zunächst eine Trasse bauen, die noch mehr Verkehr zieht und die dann wieder auf die Neuenlanderstraße führen, das gibt doch neues Chaos, sahen die AnwohnerInnen wenig Entlastung. Ein Argument, daß die Phantasie von Bullermann beflügelte Es sei auch denkbar, meinte er, daß die neue Hochstraße zwischen Flughafen und Kattenturmer Heerstraße direkt zur Autobahnauffahrt Brinkum geführt werden. Da riß auch der SPD -Abgeordneten Anneliese Leinemann der Geduldsfaden: Herr Bullermann möchte bitte die Wahrheit sagen.Dieser

Plan sei von Brinkum bereits 20 mal abgelehnt worden, da die Gemeinde keinen Boden für die Bewältigung Bremer Verkehrsprobleme zur Verfügung stellen will.

Auch auf Brinkum setzte der Grüne Klaus Adam. Sein Vorschlag: Die LKW's sollten dort ihre Ladung aufnehmen, das Stück zwischen GVZ und Brinkum durch eine Bahntrasse erschlossen werden. Für Osthaus eine Utopie, denn das brächte Standortnachteile. „Ich muß machbare Lösungen zu finden.“ Adam: dazu: „Der hat keine Ah

nung. Der kriegt die Sachzwänge als Logik erklärt.“

Bis der fly over gebaut ist, könnten Machbarkeit Sachzwang und Logik in ganz neuem Licht erscheinen. Denn parallel wird geplant, eine Verbindung zwischen der Autobahn nach Bremerhaven und der nach Hamburg und ins Ruhrgebiet zu bauen. Und wieviel zusätzlichen Verkehr das nun wieder auf die Trasse zwischen Neustadt und Flughafen bringt, weiß nicht einmal der liebe Gott - geschweige denn Bremer Verkehrsplaner.

hbk