AUCH ICH BIN IN ARKADIEN!

■ Interview mit Alfred Gobert, Schloßverwalter in Glienicke

Alfred Gobert (60), im ersten Leben Bäcker und dann Filialleiter bei einer Lebensmittelkette, arbeitet seit 1970 bei der Verwaltung Schlösser und Gärten. Zuerst als Gartenarbeiter auf der Pfaueninsel, ist er seit 1976 Schloßverwalter und Mädchen für alles in Glienicke. Manchmal sieht der alte Herr ein bißchen Lenne ähnlich.

taz: Die eigentliche Hauptattraktion, kommt man nach Glienicke, ist trotz Schloß, Garten und Park doch immer noch die Agentenbrücke nach Potsdam. Sie wohnen da seit 14 Jahren im Pförtnerhaus Schloß Glienicke. Hat da schon mal ein Spion geklingelt?

Alfred Gobert: Nein, bei mir noch nicht. Aber bei dem früheren Verwaltungsleiter der Heim-Volkshochschule klopfte nachts einmal ein Flüchtling, der hier über die Mauer stieg, an die Tür. Wohl so kräftig, daß der Verwaltungsleiter es mit der Angst bekam. Denn er rief den Hausmeister, der prompt mit seinem Schäferhund anrückte. Sicher, die Geschichte mit der Agentenbrücke hat fast etwas Modisches. Man fährt hier her und guckt sich die Westberliner und Potsdamer Brückenhälfte an, aber dann entdecken die Leute auch diesen Park und das wunderbare Gelände, und ich habe fast das Gefühl, daß die Spionenaustauschbrücke langsam in den Hintergrund gerät. In den Vordergrund tritt das kulturelle Stück Potsdam, das wir hier in West-Berlin haben.

Trifft da nicht politisch und kulturell Merkwürdiges zusammen - nämlich Sehnsucht?

Da begegnen sich unmittelbare Sehnsucht und Arkadien. Bei der älteren Generation ist es die direkte Sehnsucht nach der vergangenen Welt des Potsdam, das sie noch von früher her kennen. Nicht unbedingt nur den militärischen Geist, sondern die preußische Kultur. Und Italien. Denn diese Potsdamer Kulturlandschaft erzeugt eine geheime Spannung, die wir Berliner Flachländer nur empfinden, aber nicht erklären können. Das Gelände ist leicht hügelig, lieblich und es liegt am Wasser; ein fast südländischer Charakter, der das Gefühl für Italien stark hervorruft. Für die Jüngeren heißt es dagegen: Raus aus der Stadt, ins Grüne. Das ist natürlich auch eine Form der Sehnsucht. Hier kann man auf den großen Wiesen lagern und Ball spielen, was wir auf dem Pleasure -ground nicht so gerne sehen. Der Rasen leidet darunter.

Sind Schloßverwalter also nach wie vor grimmige Wadenbeißer?

Nein. Ich bitte die Menschen nur, vom Rasen des Pleasure -ground, den eigentlichen Schloßpark, herunterzugehen. Der ist so sensibel und vom Amt für Gartendenkmalpflege mit viel Liebe nach den ursprünglichen Lenne-Plänen in seiner Geländeformation und dem Wegenetz wiederhergestellt worden. Diese Anlage soll eine Ruhezone sein. Und wenn dann Steine in den Brunnen geworfen werden, funktioniert nichts mehr. Nichts ist mir schlimmer als Brunnen, die nicht laufen. Ich vermeide direkte Konfrontationen mit dem Publikum, appelliere dagegen an ihr Verständnis und zeige ihnen die Alternative. Mit drohender Faust oder erhobener Stimme, das bringt doch nichts, da schaffe ich bloß Aggressionen. Natürlich, wenn jemand grillen würde, kann ich hier auch gröber werden. Allein, bis ich die Feuerwehr hier draußen hätte...

Aber ein so beliebtes Wochenend-Volksfest wie im Tiergarten findet doch hier gar nicht statt.

Natürlich spielt die unmittelbare Nähe zur Stadt eine große Rolle. Der Tiergarten ist ein Volkspark, der gut zu erreichen ist. In Glienicke ist das Publikum schon ausgesiebter. Was trotzdem nach wie vor Schwierigkeiten macht, sind die Parkprobleme. Mit Hilfe der hier ansässigen Institutionen habe ich erreicht, daß im Park nicht mehr geparkt werden darf. Das war früher nicht so. Das war natürlich eine Schweinerei, die standen hier links und rechts auf dem Weg. Da konnte ich richtig böse werden, weil das Erdreich zerstört wurde. Die Damen und Herren müssen, wenn sie schon hier rauskommen, auch mal ein Stückchen laufen. Das schadet nichts.

Ist die Wahrnehmung des Bewohners für akute Probleme nicht sowieso schärfer als die der zuständigen Institutionen Schlösser und Gärten?

Da sieht man natürlich mehr. Das Verhältnis zum Schloß, zum Garten und Park ist ein viel direkteres, vielleicht undistanzierteres. Es ist einfach notwendig, die Gebäude zu bewahren. Dem Zerfall von Fragmenten und Skulpturen, die Säulen am Klosterhof oder am Westausgang vom Schloßinnenhof muß Einhalt geboten werden. Obwohl viel getan wurde, eben sind der kleine Brunnen an der Südseite des Kasinos und die Löwenmasken wieder restauriert worden, sind nur die schlimmsten Dinge repariert worden, um den wirklichen Zustand annähernd zu erreichen, wie das ja im Pleasure -ground geschah. Das ganze Schloß soll ja, so der letzte Senatsbeschluß, wiederhergestellt werden: das Hauptgebäude als Museum, der Kavalierflügel im Erdgeschoß als Mehrzwecksaal für Konzerte oder Lesungen, und ins Obergeschoß soll ein gartenhistorisches Institut. Gerade jetzt wurde der Turm am Remisenhof zum Abputzen eingerüstet.

1816 begann Lenne mit der Umgestaltung des Parks in Glienicke. Liest man die Chronik, so gewinnt man den Eindruck, als wäre Natur nicht nur in Landschaft, sondern in eine ständige Baustelle verwandelt worden.

Vielleicht. Natürlich war hier eine Baustelle. Aber seit 1850, 1860 war doch alles im großen und ganzen abgeschlossen. Eigentlich gab es zwei Bauphasen: Einmal die Gestaltung des Pleasure-ground für Staatsminister Hardenberg, Lennes erste selbständige Arbeit seit seiner Rückkehr aus Wien als Garteningenieur. Ab 1824, als Prinz Carl von Preußen den Park nach Hardenbergs Tod kaufte und zusätzliches Gelände erwarb, setzte die Umgestaltung der Parkanlagen in großem Stil damit ein, als Schinkel für Glienicke mit dem Umbau des Kasinos, der Kleinen Neugierde und mit dem Schloß begann. Dann war erst mal Schluß. In der zweiten, größeren Bauphase, ab 1837, bauten dann Persius und von Arnim das kleine Ensemble zu einer Gesamtanlage aus, mit Orangerie, Treibhaus, Wirtschafts- und Nebengebäuden. Eingriffe in die Architektur nahmen erst wieder die Nazis vor, als in Glienicke ein Lazarett eingerichtet wurde.

Trotzdem kommt der Verdacht auf, daß bei der Verwandlung von natürlicher Vegetation und landwirtschaftlicher Nutzfläche in einen Landschaftspark Natur nicht nur zusätzlich geschaffen, sondern auch geopfert wurde. Lenne schleppte doch allein 25.000 Bäume an, ließ aber andere fällen.

Es waren wahrscheinlich viel mehr. Denn wenn man sich den Park anschaut, dann sieht man, daß in einem Pflanzloch vier, manchmal fünf Bäume stehen. Sicher, Lenne griff künstlich in die Natur ein, entfernte die Obstbaumalleen und Kiefern an der Havel, denn das war in einem Landschaftsgarten nicht zu gebrauchen, zumal solche Alleen - wie man auf alten Plänen erkennt - schnurgerade waren. Man hatte die barocken, beinahe steril wirkenden Gärten satt. In einem Landschaftsgarten werden die Wege dem Gelände angepaßt, geschwungen, und Natur inszeniert, als wäre sie natürlich, als hätte sie sich so selbst geschaffen. Das ist im Grunde die Vernichtung der barocken Anlage.

Sind bei der Rekonstruktion von Park und Garten nicht ähnliche Probleme aufgetaucht?

Das Bewußtsein bei den Gartenbauämtern ist, auch durch die ökologische Diskussion, geschärft worden. Viele Dinge werden nicht mehr so gemacht wie vor Jahren noch. Allein durch die Arbeit der fast zehnjährigen Wiedergewinnung des Lennegartens wurde eine große Einfühlung erzielt, und mit Natur wird wesentlich schonender umgegangen. Trotzdem bedeutet jeder Eingriff in die Ökologie nicht gleich ihre Zerstörung.

Wenn man heute durch den Park geht oder sich das Schloß mit den Löwen anschaut, dann bekommt man leicht den Eindruck, das künstliche Arkadien ist etwas puppig geraten. Taucht da nicht wieder der museale Geist der dilettierenden feudalen Gartennarren auf?

So kann man das nicht sagen. Vor Jahren tauchte zwar schon mal das Wort vom Disney-Land der Hohenzollern auf. Aber wir leben doch nicht mehr in der Zeit. Es war das Zeitalter der Empfindsamkeit, und man legte mehr Wert auf das Empfinden durch die Natur. Natur als Landschaft bedeutete eine Steigerung des Lebensgefühls. Daß da natürlich Dinge zutage getreten sind wie die Idealisierung der Natur oder auch deren naive Inszenierung, ist eine Sache. Aber wenn man die Zeit genau ansieht, auch die Literatur, dann geht es um die Empfindsamkeit. Die Männer weinen, sind gefühlsbetont, was man heute gar nicht mehr kennt. Es war direkt kultiviert. Man hoffte, durch die Verschönerung der Landschaft den Menschen schöner zu machen. Und wenn Tucholsky an irgendeiner Stelle sagt, man könnte Menschen mit einer Wohnung erschlagen, dann ist das der umgekehrte Schluß, wenn man hier sagt, daß die Natur den Menschen besser machen könnte. Sicher war die Schaffung der Parkanlagen auch eine Flucht. Trotzdem hat es heute nichts Abgestandenes, Beiseitegelegtes. Natur kann gar kein Museum sein, so wird der Park auch nicht genutzt. Das ist ein Stück Geschichte, in dem wir uns bewegen können.

Hat sich nicht kürzlich ein alter Schloßbesitzer gemeldet, der sein Stück Geschichte wiederhaben will?

Das ist Friedrich Carl, der Ururenkel des Prinzen Carl von Preußen. Gerechterweise muß man sagen, daß die Ansprüche auf das Schloß oder auf finanzielle Entschädigung legitim waren, denn die Nazis hatten ihn, abgesehen von einem Trinkgeld, regelrecht enteignet. Doch sind diese Ansprüche jetzt verjährt, das Land Berlin hat den Besitz, so lautet das Urteil, ersessen. Also keinerlei Befürchtungen, in dieser Richtung passiert nichts, absolut nichts.

Glienicke ist Lennes vielleicht kunstvollster Landschaftsgarten und darum auch so von allem entrückt. Leiden Sie da nicht unter Entzug?

Nein. Mich stört die Distanz überhaupt nicht. Außerdem arbeite ich den ganzen Tag hier mit Menschen zusammen. Ich lese sehr gern und mag diese Ruhe und Entferntheit. Und am meisten genieße ich das stille Stück Natur, wenn ich bei Vollmond oder vor Sonnenaufgang durch den Park gehe. Kein Geräusch. Das ist nicht elitär oder snobistisch, das ist faszinierend.

Interview: rola