NATUR UND STADT AUF DEM SEZIERTISCH

■ „Peter Joseph Lenne. Volkspark und Arkadien“ in der Orangerie Schloß Charlottenburg

Jede Ausstellung über die kunstvollen Landschaftsparks und Gärten von Peter Joseph Lenne ist defizitär, weil der Gegenstand fehlt. Die Abwesenheit von Natur und Landschaft läßt die angepinnten Pläne zu abstrakten Zeichnungen und Figuren verkümmern, deren Erlebniswert einem gerichtsmedizinischen Akt gleichkommt. Eiskalt aufgebahrt wird tote Natur im Grundriß landschaftlicher Planung obduziert. Die blaß gewordene Physiognomie zeigt sich als papierner Körper, durch den die Wege und Straßen wie blutleere Adern fließen. Geräusche bleiben ausgesperrt, nur ein fahler Geschmack steigt dabei auf, der nicht aus dem wirklichen Grün als Smog transpiriert, sondern der Leichengeruch der Natur auf dem Seziertisch ist.

So ist es vielleicht gar nicht einmal Zufall, daß die zwei abgedunkelten Ausstellungsräume für „Peter Joseph Lenne. Volkspark und Arkadien“ der Orangerie im Charlottenburger Schloß den Eindruck eines Laboratoriums machen, in dessen Zentrum ein großer Tisch aufgebaut ist, in dem Natur als ein Modell der Berliner und Potsdamer Landschaft, Lennes Hauptwirkungsfelder, in Glas eingelassen ist. Das Planspiel wirkt um so grotesker - denkt man an die Besucher, die sich gleichzeitig wirklich durch die Parks schleppen und nach Atem ringen, wie die Natur selbst es tut -, da über Knopfdruck einzelne Felder im Modell aufleuchten, als wären die grünen Lungen Teile einer Röntgenaufnahme, die ein Krankheitsbild diagnostizieren. Landschaftsflecken verwandeln sich zu nierenförmigen Gebilden, schon ganz gelb, halbseitig nasse Rippenfellentzündungen und Darmverschlingungen schwimmen in der Havellandschaft. Im Planquadrat gerät Natur zum operativen Medium, das belichtet -durchleuchtet wird, an dem das Auge distanziert herumdoktern kann, bis die Luft ausgeht. Ein Szenarium für die Feldherren der Autopsie. Zugleich ist der irreale Seziertisch umstellt von Gemälden Carl Daniel Freydancks (1811-1887), der die Havellandschaft im diffusen Licht italienischer Landschaftsmalerei absaufen läßt. Glienicke, die Pfaueninsel, Potsdam und Sanssouci verschwimmen in romantisch-ruinöser Idealisierung zu Abziehbildern ihrer selbst, so zart und fein, daß man darum bangen muß, sie könnten aus dem Rahmen transzendieren, so körperlos wirkt Landschaft. So konfrontiert uns die Ausstellung mit Imitation, artifiziellen Spielereien und einem Bedeutungswandel der Natur, die, zum Objekt geworden, ihren Verschleiß demonstriert.

Daß Lenne (1789-1866) ein Chirurg war, der die Natur ebenso wie die romantische Sehnsucht pittoresker Parkanlagen auf dem Operationstisch kaltschnäuzig skalpierte, verrät nicht nur das zweifelhafte Kompliment des adeligen Oberdilettanten im Gartenbau, Pückler-Muskau, der Lenne als „Landschaftsingenieur“ abkanzelte. Meist zu Roß, aus dem Handgelenk tätig, war für den Fürst Natur als Landschaft zum Substrat ästhetischer Betrachtung und Umgestaltung avanciert und zum Spiel geworden für Selbsttäuschung, neckische Effekthascherei und Inszenierung des Natürlichen als Ausgleich für den inneren Mangel einer feudalen Langeweile. Lenne, der Praktiker mit Gärtnerblut aus Bonn, genial, taktisch, rücksichtslos, schockte durch Professionalität, die er in seinen Lehrjahren auf Reisen durch England, Frankreich und Österreich gelernt hatte, und mit Instinkt für Gleichzeitigkeit, Modernität und Macht. Natur und Landschaft waren für ihn nicht Spiegelbild des falschen Scheins, keine Dekorationselemente höfischen Tingeltangels für plärrende Männer, die sich erschießen, wenn die Liebste durchgeht, sondern ein Arbeits- und Operationsfeld, das es wieder nutzbar zu machen galt. Nicht für die Landwirtschaft, weniger für höfische Interessen, sondern für die Stadt und für die Konsumierbarkeit bürgerlicher Kultur. Das ist Thema der Ausstellung.

Zwar sind die frühen landschaftlichen Arbeiten des rheinischen Gartengesellen, der innerhalb kürzester Zeit altgediente Hofgärtner ebenso wegharkte wie überkommene Traditionen, noch geprägt von einem klassizistischen Kunstbegriff - der Identität von Kunst und Natur -, doch zeigt sich schon ab 1816, in Glienicke, bei den Potsdamer Gartenarbeiten und später auf der Pfaueninsel, ein tastender Umgang mit der Natur, dem eine Dynamik planerischer Vorstellung folgt. Denn der historischen Ausprägung des Landschaftsgartens - dem ästhetisch-kontemplativen Blick auf die Natur, dem Versuch, einen scheinbar natürlichen Mikrokosmos zu schaffen, in dem Natur sich zum Bild verwandelt und als künstlich befriedete Oberfläche stagniert - setzt Lenne erst allmählich, dann immer gezielter ein gartenbauliches Gesamtkonzept entgegen. Die Reize aus hingeworfenem Zufall, Landschaften nach „Liebhaberei einer Frau, den Wünschen und Grillen der Kinder, die wunderliche Kartenhausarchitektur“, wie Goethe krittelte, werden von knallharten Prinzipien der Zonung, Erschließungssystemen, der Funktionalität und Nutzbarkeit sowie der Systematisierung abgelöst, wie Lenne sie in England und bei Sckell in München gesehen hatte.

Bleibt der Traum von Arkadien anfangs rückwärts gerichtet, ist geprägt von idealistischen Konzeptionen italienischer Malerei und den paradiesischen Feldern befriedeter Natur, so entwickelt sich ästhetisierte Landschaft im Zeitalter beginnender industrieller Produktion, Verwertbarkeit und Ausbeutung natürlicher Ressourcen, zum Symbol der Freiheit und Immaterialität.

Wird Landschaft, steht sie wie der Pleasure-ground in Glienicke noch als Kunstwerk natürlicher, botanischer und architektonischer Zauberei da, die von Nikolskoe bis nach Potsdam reicht, in den Kontext vorhandener Natur gestellt, so bleibt dieser die temporäre Dimension und Prozeßhaftigkeit. Dem trügerischen Bild von Arkadien nimmt Lenne dort somit seinen Rahmen und thematisiert die Unverfügbarkeit der Natur, indem er die Polarität zwischen Natur und Landschaft demonstriert. Raumfolgen wie im Tiergarten, Wege durch Wäldchen, Plätzchen am See gehorchen dagegen einem übergeordneten System axialer Beziehungen, deren Rationalität, Regelhaftigkeit, zentrierte Fächerförmigkeit Natur als Landschaft ohne Täuschung inszeniert, als eine vom Menschen gestaltete Welt, in der er sich „zum praktischen Nutzen“ bewegt und nicht mehr Staffage ist, und in der Raum und Zeit zu bestimmenden Faktoren geworden sind. Betrachtet man die Grundrisse vom Tiergarten, so springt die Symmetrie und Regelmäßigkeit (Lenne hat diese zum Teil vom ursprünglichen Wegenetz übernommen) der Alleen so dominant ins Auge, daß die angelegten Wald- und Wiesenpartien wie Ghettos wirken und nur noch Parzellen für die emotionale Irritation darstellen. Kleine Plätzchen für die kleinen Gefühle der kleinen Leute.

Während Schinkel das feudale Zentrum Berlins zur königlichen Residenz ausbaut, ist dieses schon obsolet. Zwischen 1800 und 1850 wächst die Bevölkerung der Stadt auf eine halbe Million. Neue Energieformen wie Dampfkraft und die Mechanisierung der Handwerksbetriebe, Lokomotiv- und Eisenbahnbau forcieren den Ausdehnungsprozeß über die alten Stadtgrenzen hinaus. Doch im Gegensatz zu Schinkel, den Lenne 1840 als Chefplaner ablöst, sieht der Gartendirektor die Peripherie nicht als diffuses Gebilde gegenseitiger Durchdringung von Stadt und Land, sondern als integralen Teil städtischer Gesamtplanung. Schon die Entwürfe (1839/40) Lennes zum sogenannten Pulvermühlengelände nördlich des Spreebogens zeigen, daß Lenne eine mit der Mauer versehene Stadterweiterung im Sinn hat, in der bauliche und landschaftliche Bereiche deutlich abgetrennt sind und sich als Grüngürtel, durchzogen von Alleen und Boulevards und als Abfolge von Zonen, zwischen die Architektur schieben. Die strukturellen Planungen der Landschaftsgärten werden zu Gedanken für die „Schmuck- und Grenzzüge“ in der Stadt und münden direkt in die landschaftliche Ordnung der städtischen Volksgärten, die über die gesellschaftliche Nutzung hinaus eine Aufwertung der angrenzenden Stadtteile beinhalten.

Auch Lennes zweiter großer Auftrag, die Überarbeitung des Schmidschen Bebauungsplans für das Köpenicker Feld (Luisenstadt/Kreuzberg), entwickelt den Gedanken einer funktionalen Zonierung. Die Topographie für ein innerstädtisches Industriearbeiterviertel mit angrenzenden Gewerbegebieten folgt einem orthogonalen Straßenraster, wo Straßen von Plätzen unterbrochen werden, Promenaden den Gesamtplan durchschneiden und Wasserachsen mit Bassins den öffentlichen Raum strukturieren. Schließlich gleicht der Gesamtplan für Berlin, den Lenne 1843 entwirft, fast einer Idealkonzeption antiken Charakters. Die Integration der industrialisierten Peripherie, letztendlich der Austausch von Macht, organisiert Lenne als konzentrisches Ringkonzept, das von Parks abgelöst wird, von marktplatzartigen Squares gekennzeichnet und mit Stichstraßen durchzogen ist, die ins Zentrum führen. Es entspricht der stadtplanerischen Konzeption, die Haussmann in der französischen Metropole später anwandte und in dem die Stadt einem kalligraphischen Körper ähnelt, in dem die Ordnung der Dinge als Symbol des aufgeklärten Bewußtseins schon so gerade geworden ist, daß man sich manchmal nach den verschlungenen Wegen der Potsdamer Kulturlandschaft sehnt. Nur noch Dämme im Kopf, schreibt Lenne 1846 an seinen Neffen: „Wenn Du mich wieder besuchest, findest Du die Riesenprojekte für die Hauptstadt, deren Plätze Dir ja bekannt sind, realisiert. Ich hoffe, im nächsten Jahr damit zustande zu kommen. Der Schiffskanal (Landwehrkanal) mit seinen Boulevards, Schleusen und Freiarchen ist in voller Arbeit, der neue Exerzierplatz vor dem Invalidenhaus, 150 Morgen groß, mit einer Terrasse von 4 Fuß rund herum, und Pflanzungen sind fertig, der alte Exerzierplatz (Königsplatz mit Kroll) wird jetzt in einen Schmuckplatz umgewandelt und umgebaut, der Hippodrom, welcher den Tiergarten bis Charlottenburg fortführt, ist ebenfalls vollendet, vier öffentliche Bäder in Arbeit; hieraus magst Du erkennen, daß ich in kurzer Zeit vieles geleistet habe.“

Anzumerken ist, daß der Lenne-Plan am Wildwuchs städtischen Wachstums gescheitert ist. Seine vollendetste Form, die Ringstraße, ist heute befahrbar, von Neukölln über Charlottenburg bis zum Wedding mit 80 Stundenkilometer. Nicht die Städtebauer konnten ein Programm der „Landesverschönerung“ durchsetzen, sondern die Autobahnverkehrsplaner zogen den Lenne aus der Schublade. Natur als Landschaft ist dort nicht nur tot, sondern in Beton transplantiert.

rola

Die Ausstellung ist noch bis zum 30. Juli zu sehen. Di, so, sa und so von 10-18 Uhr, mi und fr 10-20 Uhr. Eintritt 6 Mark. Gleichzeitig finden Ausstellungen auf der Pfaueninsel und in Glienicke statt. Dort ist freier Eintritt. Der Katalog (Hrsg. Florian von Buttlar) kostet 30 Mark.