„Krank ist immer der ganze Mensch“

■ Eine Arbeitsgruppe von Ärzten und Pflegekräften möchte in einem „Gesundheitshaus“ „ganzheitliche Pflege und Behandlung mit Naturheilmitteln“ verwirklichen Umgesetzt werden könnte das Konzept nach den Vorstellungen der AG im Krankenhaus Britz an der Blaschkoallee / Noch keine Stellungnahme vom Senat

„Ganzheitliche Pflege“ und Behandlung mit Naturheilmitteln das sind die Leitmotive einer Arbeitsgruppe aus Pflegekräften und Ärzten, die sich wie ein roter Faden durch ihr Konzept eines „Gesundheitshauses“ ziehen. Nicht mehr „die Niere“ oder „die Leber“ sollen bei dem kranken Menschen im Vordergrund stehen, sondern, wie der Internist Volker Gernhardt es formuliert, „der ganze Mensch“.

Seit nunmehr zwei Jahren arbeitet die Arbeitsgruppe an diesem Konzept, welches „die Pflege wieder stärker an den Bedürfnissen des Patienten orientieren soll“. In die Praxis umgesetzt werden könnte es, nach den Vorstellungen der Arbeitsgruppe, im Krankenhaus Britz an der Blaschkoallee. Das knapp hundert Jahre alte Haus ist zur Zeit noch ein ausgelagerter Teil des Krankenhauses Neukölln. Nach dem noch vom alten Senat erstellten Krankenhausplan sollen die dort ansässigen Stationen verkleinert und in den Nordkamm des Krankenhauses Neukölln verlagert werden. Ziel war es, bis zum 31.12. 1990 den örtlichen Bereich Britz zu schließen.

„Dabei ist dieses Gebäude mit seinen Pavillons und Grünanlagen besser als jedes andere dafür geeignet, daß Menschen dort gesund werden können.“ Für Volker Gernhardt die ideale Möglichkeit, hier eine andere Art der Krankenpflege zu praktizieren als bislang üblich. „Wenn ein Mensch heutzutage ins Krankenhaus kommt, wird er zu allererst durch ein riesiges Labyrinth apparativer Diagnostik geschleust“ - vorhandene Computertomographen, Endoskope und Kernspintomographen müssen ausgelastet werden. Der Entwurf für das Gesundheitshaus - 384 Betten soll es insgesamt umfassen - sieht derartige Technologien erst gar nicht vor. Hier entsteht im Vordergrund die medizinische, pflegerische und soziale Anamnese - das Gespräch. „Kommt zum Beispiel jemand mit Magenschmerzen zu uns, dann reicht es nicht aus, ihm einfach einen Schlauch in den Hals zu stecken.“ Man müsse herausfinden, welche Ursachen im Privat oder Berufsleben des Patienten seine Beschwerden verursachen. „Krank ist immer der ganze Mensch und nicht nur ein Teil“, so Gernhardt. Bei seiner Genesung unterstützt werden soll er im Gesundheitshaus mit Naturheilmitteln und Methoden der klassischen Homöopathie. Knochenbruchbehandlungen und Operationen könnten im Gesundheitshaus allerdings nicht vorgenommen werden. Sollten die naturheilkundlichen Methoden „in Einzelfällen“ nicht greifen, bestünde immer noch die Möglichkeit, die Patienten in ein anderes Krankenhaus zu überweisen. Wilhelm Breitenbürger von der Berliner Ärztekammer: „Mehr und mehr niedergelassene Ärzte wenden bei ihren Patienten naturheilkundliche Methoden an.“ Müßten ihre Patienten dann mal ins Krankenhaus - zum Beispiel zur Überwachung bei einem Asthmaanfall - „werden sie wieder mit pharmazeutischen Präperaten bombardiert, die jeden Therapieerfolg zunichte machen.“ Viele Berliner Ärzte würden ihre Patienten deshalb nach Westdeutschland in naturheilkundliche Kliniken überweisen.

Ökologie ist ein weiterer Schwerpunkt des Konzepts Gesundheitshaus. Als „geradezu ideal zur Durchführung ökologischer Geländegestaltung“ wird das Gelände des Krankenhauses Britz bezeichnet. Einer Energiegewinnung mittels Sonnen- und Windenergien, Biogas und Wärmerückgewinnung „stünde nichts im Wege“.

Durch eine sogenannte „Geriatriekette“ will das Gesundheitshaus zur Vernetzung zwischen stationärem und ambulantem Bereich beitragen. Auf „Rehabilitationsstationen“ sollen die alten Menschen wieder auf das Leben zu Hause vorbereitet werden, an das Gesundheitshaus angeschlossen sein sollen außerdem eine Sozialstation und eine Altentagesstätte.

Personalaufwendiger als herkömmliche Krankenhäuser ist die Realisierung dieses Konzeptes allemal. Mittels demokratisch gewählter Ärzte- und Pflegekommissionen soll außerdem die übliche Hierarchie eines Krankenhausbetriebes aufgebrochen werden. Durch die geringen Sachmittelkosten - keine teuren Apparate - will Gernhardt mehr Gelder für die Personalkosten bereithalten und trotzdem einen äußerst geringen Tagespflegesatz von 280 Mark veranschlagen. Danach könnten zehn Pflegekräfte 17 Patienten betreuen. Elisabeth Kramer vom Personalrat im Urban-Krankenhaus jedoch wittert - trotz Zustimmung - auch Gefahren: „So hoch ist der Personalschlüssel auch wieder nicht, so ein Kollektiv mit einem derartig geringen Pflegesatz kann schnell zur Selbstausbeutung führen.“ Da das Gesundheitshaus städtisch sein soll, wird es von den Krankenkassen finanziert - und die sind es auch, die finanzielle Grenzen ziehen. Bernhard Grieger, Landesvorsitzender der Betriebskrankenkassen (BKK), fühlt sich zwar „bestochen“ von den geringen Kosten und „aufgeschlossen für eine neue Humanität in der stationären Behandlung“, sieht jedoch erhebliche Probleme: „Separiert sich Britz vom Krankenhaus Neukölln, werden dort die Pflegesätze immens steigen.“ Eine weitere Folge wäre eine Steigerung der Bettenzahl in Berlin. Die dadurch entstehenden Mehrkosten wollen die Kassen natürlich nicht zahlen. „Das Gesundheitshaus Britz könnte als Modellversuch laufen - doch es müßte sichergestellt sein, daß woanders, z.B. in Großkliniken, Betten abgebaut werden.“

Diese Entscheidung liegt nun in den Händen des Senats - und sie eilt. Um den Bereich Britz nächstes Jahr aufnehmen zu können, laufen bereits Umbaumaßnahmen im Krankenhaus Neukölln. Es könnten also mal wieder bauliche Tatsachen geschaffen werden, an denen der Senat nicht vorbeikommt. Gesundheitsstaatssekretärin Ursula Kleinert will zur Zeit keine Stellung beziehen. „Der ganze Krankenhausplan wird im Moment neu durchdacht“, teilte Pressesprecherin Rita Hermanns mit. „Es befindet sich hier alles noch in der Schwebe.“

Martina Habersetzer