Außer Spesen nichts gewesen

■ Zum Freispruch-Plädoyer des Staatsanwalts im Rotbrigadistenprozeß

So ganz genau wissen Italiens Rotbrigadisten - man sah es an ihren Gesichtern - natürlich nicht, ob sie lachen oder weinen sollen. Das Plädoyer des Staatsanwalts gegen eine Verurteilung wegen „bewaffneten Aufstandes“ und „Anzettelung eines Bürgerkriegs“ bewahrt sie wahrscheinlich vor dem kollektiven lebenslänglich.

Doch andererseits: was wollten sie denn anderes, als „diesen Staat zerschlagen“ (oder „den“ Staat überhaupt)? Was sollen sie nun noch von ihren großen Projekten halten, vom „bewaffneten Kampf“ und der „Erhebung der Massen“? Alles Illusionen gewesen, sagt der Staatsanwalt, und die seien nicht strafbar. Und soweit den Illusionen Taten folgten, seien die Brigadisten schon von anderen Gerichten zur Verantwortung gezogen worden.

Nimmt man den Staatsanwalt beim Wort, ergeben sich daraus aber auch noch andere Folgerungen - und zwar für die andere Seite: Hat es nämlich keinen bewaffneten Aufruhr gegeben - ja, wer verantwortet dann die zahlreichen mit „Aufruhr“ motivierten Sondergesetze? Notstandsnormen, die am Ende so viele Grundrechte außer Kraft gesetzt haben, daß sich die Italiener reiehnweise höchstrangige Rüffel einhandelten, von amnesty international bis zum Europäischen Gerichtshof. Sollte das Tribunal den Staatsanwalt bestätigen, muß sich Italiens Herrscherkaste auf recht ungemütliche Fragen einrichten: Entweder die damals Verantwortlichen weisen nach, daß der „bewaffnete Kampf“ eine viel größere Anhängerschaft hatte als bisher vor Gericht gekommen und erkennt ihm damit eine tiefe soziale Verwurzelung zu. Oder sie geben zu, Gesetze auf Illusionsbasis eingeführt zu haben. Die Wut auf den Staatsanwalt wird beträchtlich sein.

Dem allerdings blieb gar keine andere Wahl als die Forderung nach Freispruch. Jede Verurteilung wegen „bewaffneten Aufruhrs“ bedeutet lebenslänglich, und das würde die höchst erfreuliche Debatte um eine politische Aufarbeitung der - beiderseits - toddurchtränkten Jahre des „bewaffneten Kampfes“ auf Dauer zerstören. An einem Schlußstrich ist in Italien mittlerweile allen Seiten so viel gelegen, daß sie wohl lieber noch zähneknirschend einige Debatten über Politikerillusionen hinnehmen, als das

-in anderen Staaten offenbar noch unüberwindbare Rachedenken weiterzupflegen.

Werner Raith