Kleinkariert

■ Berlins Regierender Bürgermeister zu Gast bei Erich Honecker

Von 'Bild‘ über 'FR‘ bis zum 'Neuen Deutschland‘, alle Medien in Ost und West sind sich einig: Das Treffen zwischen West-Berlins Regierendem Bürgermeister Walter Momper und SED -Häuptling Erich Honecker war ein weiterer Fortschritt in den Beziehungen, nicht nur für die Menschen: „Auch Hunde und Katzen dürfen mit“, titelte 'Bild‘ und „Jetzt alle leichter nach drüben“, inclusive der West-Brieftauben, die demnächst vielleicht drüben starten dürfen, damit sie auf ihrem Weg in die Bundesrepublik nicht schon vorher schlappmachen. Natürlich fällt es schwer, gegen Reiseerleichterungen von West nach Ost zu argumentieren, um die es ja leider hauptsächlich ging. Auch die Radfahrergemeinde darf beruhigt sein. Spätestens, wenn die AL-SED-Gespräche, inzwischen offiziell bestätigt, zu Ergebnissen geführt haben werden und die AL sich nicht allzu polemisch mit der SED auseinandersetzt, wird auch noch ein Brocken für die Radfahrer abfallen.

Und trotzdem, der von allen gepriesene Fortschritt ist peinlich, der deutsch-deutsche Medienjubel darüber makaber. Es steht sogar die Frage im Raum, ob all das, was vor fünf, sechs Jahren mit gutem Gewissen als Fortschritt in den Beziehungen, als Entspannung hätte gepriesen werden können, sich heute in sein Gegenteil verkehrt hat.

Ein kleiner Blick in die gestrige Ausgabe der Parteizeitung der SED, in der Honeckers Treffen mit Momper auf Seite eins so gelobt wurde, zeigt die ganze Misere: Da wird DDR -Außenminister Oskar Fischers Besuch bei den letzten Stalinisten in Albanien gefeiert, und da werden gleich drei Proteste aus Rumänien, Albanien und der CSSR an der posthumen Beisetzung des „Konterrevolutionärs“ (ND) Imre Nagy in Ungarn gedruckt. Es fehlt auch nicht der Korrespondentenbericht aus Peking, in dem die „ersten Erfolge“ der „Normalisierung“ in China gewürdigt werden.

Da mag man einwenden, dies sei die Widersprüchlichkeit in den Normalisierungsbemühungen zwischen West-Berlin und der DDR. Man kann mit Fug und Recht aber auch behaupten, das Gegenteil sei der Fall. Statt Reformkräfte inner- und außerhalb der Partei zu unterstützen und damit die Voraussetzung für einen Reformprozeß in der DDR und somit für die Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten zu schaffen, wird blind der gegenteilige Weg beschritten. Auch Momper wird vermutlich zustimmen, daß die Reformen in Polen, Ungarn und der Sowjetunion die letzte Chance sind, den Verfall und Bankrott der realsozialistischen Länder aufzuhalten. Wenn dem so ist, kann man doch nicht zur gleichen Zeit mit den gegenteiligen Kräften im realsozialistischen Lager um diese kleinlichen Reiseerleichterungen verhandeln. Darum geht es im Moment gerade nicht! Der rot-grüne Senat hätte alles vermeiden sollen, was kurzfristig provinziellen Egoismus in den Mittelpunkt stellt und den Verdacht nährt, es gehe den Deutschen nur um ihr gesamtdeutsches Glück und nicht um ein gemeinsames europäisches Haus. Letztlich entsteht so der Eindruck, als wollten sie sich nur ein gemeinsames Zimmer bauen, egal in welchem Haus.

Max Thomas Mehr