Plutonium auf dem Flur

■ Atemberaubende Zustände in Atomwaffenfabriken der USA / Untersuchungsbericht des US-Kongresses deckt schwere Sicherheitsverstöße auf

Washington (afp/wps) - Katastrophale Zustände herrschen in den Atomwaffenfabriken und nuklearen Forschungszentren der USA. Ungeschützt gelagerte Atomwaffenkomponenten, Sicherheitsvorschriften, die nur auf dem Papier stehen, regelmäßige Unfälle mit radioaktiven Verseuchungen von Mensch und Umwelt, illegale Abfallbeseitigungen, Rauschgifthandel und anderes mehr deckte das FBI und eine vom US-Repräsentantenhaus eingesetzte Untersuchungskommission auf. Nach dreijähriger Arbeit legte die Kommission am Montag ihren Bericht vor und ließ kein gutes Haar an der Sicherheit der Atomwaffenzentren des Landes.

Der Untersuchungsbericht stellt die US-Regierung vor eine brisante Alternative: Entweder sie setzt die Produktion von Atomwaffen fort und nimmt dabei erhebliche Sicherheitsprobleme und Gesundheitsgefahren für die Bediensteten in Kauf oder sie schließt die Anlagen für längere Zeit. Bei einem Weiterbetrieb könnten die Sicherheitsmängel nicht beseitigt werden.

17 Anlagen sind untersucht worden. Die Aufsicht über diese Fabriken sei unter der Regierung von Ronald Reagan stark vernachlässigt worden, heißt es in dem Bericht. Das Energie -Ministerium, dem die Anlagen unterstehen, habe der Regierung Bush „eine Krise von größtem Ausmaß“ hinterlassen. Das Ministerium habe die Sicherheitsverstöße gedeckt und vertuscht. In mindestens einem Fall seien Ermittlungen der Polizei durch gezielte Interventionen aus Washington abgebrochen worden. Die Kosten für die Entseuchung und sicherheitstechnische Nachrüstung der stark vernachlässigten Anlagen werden auf 100 bis 130 Milliarden Dollar geschätzt. Die gravierendsten Sicherheitsdefizite wurden in den Atomwaffenfabriken von Hanford, Savannah River und Rocky Flats festgestellt, aber auch im renommierten Forschungszentrum von Los Alamos, wo die erste Atombombe entwickelt wurde. Dort seien jahrelang Teile von Atomwaffen ohne irgendwelche Schutzvorkehrungen gelagert worden. In der Plutoniumfabrik von Hanford wurde das Alarmsystem für nukleare Verseuchungen von Mitarbeitern einfach abgeschaltet. Nachdem es bei starkem Wind wiederholt zu Alarm-Meldungen gekommen sei, wurde das ganze System außer Betrieb gesetzt.

Nach derselben Logik wurden in der Atomwaffenschmiede von Savannah River die automatischen Löschanlagen abgestellt. In einigen Gebäuden hat man den Einbau dieser Anlagen schlicht „vergessen“. Rauschgift-Handel und -Genuß werden in mehreren Plutoniumfabriken moniert. In Hanford, Oakridge und Lawrence -Livermore hätten Bedienstete nachgewiesenermaßen unter Rauschgifteinfluß gearbeitet.

Eine besonders ausführliche Liste von gravierenden Sicherheitsverstößen liegt zur Atomwaffenfabrik Rocky Flats in Colorado vor. Sie ist die am stärksten verseuchte Atomanlage der USA. 79 FBI-Beamte hatten die Anlage mit Erfolg durchkämmt. Die schwersten Sicherheitsverstöße:

-Die Bilanzen über radioaktive Abfälle wurden geschönt. Mit Hilfe einer „exzessiven illegalen Beseiti Fortsetzung auf Seite 2

gung“ seien zig Tonnen radioaktiven Abfalls auf dunklen Wegen vergraben oder verbrannt worden.

-Die Fahnder stießen auf Aufzeichnungen der Manager, in denen

zahlreiche Unfälle notiert worden waren. Im monatlichen Durchschnitt ereigneten sich in der Atomwaffenfabrik demnach 32 Unfälle mit radioaktiver Kontamination.

-Im monatlichen Durchschnitt wurden mindestens zwei Unfälle von erheblicher Tragweite notiert. Diese hätten entweder zu Plutoniumverunreinigungen oder zu Freisetzungen von radioaktiver Strahlung geführt.

Die 'Los Angeles Times‘ berichtete gestern von einer weiteren Spezialität der Anlage. Nach den Aussagen des Angestellten Don Gabel seien beim Transport immer wieder Plutoniumtabletten aus ihren Sicherheitsboxen gekullert und auf dem Flur herumgelegen. Er selbst habe die Plutoniumstücke wieder eingesammelt. Als einzige Schutzvorkehrung habe er Handschuhe benutzt. Don Gabel ist an einem Gehirntumor gestorben. Noch kurz vor seinem Tod hat er vor den Zuständen in Rocky Flats gewarnt. Gabel verdiente dort acht Dollar die Stunde. Für die Arbeit mit Plutonium bekam er 15 Cents Gefahrenzuschlag - und Aspirin gegen die Kopfschmerzen.

Manfred Kriener