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Nomaden zwischen den Kulturen

■ Ulrike Ottingers bildmächtiger Film „Johanna d'Arc of Mongolia“

Wenn Filme gucken jenseits aller cineastischen Gelehrsamkeit auch heißt, einfach genießerisch in Bilder einzutauchen, die Phantasie verreisen zu lassen, die Augen schwelgerisch zu baden in opulenten Szenarios - dann ist Ulrike Ottingers „Johanna d'Arc of Mongolia“ ein Film der Filme. Warum dieser Film - auf der diesjährigen Berlinale vorgestellt - von der Kritik derart vernichtet wurde, ist unbegreiflich und eigentlich nur damit zu erklären, daß manche Filmkritiker (und Kritikerinnen) nicht mit den Augen, sondern mit dem Taststock sehen.

„Johanna d'Arc of Mongolia“ ist eine Reise, ein Film über kulturelles Nomadentum, über die Fremdheit, die Angst davor und über die Sehnsucht, sich nicht in dieser Angst einzuschließen. Kein „schöner“ Film, sondern ein Film der Schönheit. Ästhetisch, artifiziell, aber nicht kühl, sondern von einer Leucht-und Bildkraft, die einem die 165 Minuten zum Hochgenuß werden läßt.

Vier Frauen fahren in der Transsibirischen Eisenbahn, wie

eingeschlossen in den unendlichen Luxus dieser Bahn aus der Zarenzeit: Die englische Ethnologin (Delphine Seyrig), die deutsche Studienrätin mit ihrem Baedeker (Irm Hermann), der amerikanische Musicalstar (Gillian Scalici) und die französische Rucksacktouristin (Ines Sastre). Im Speisewagen treffen sie auf andere Reisende: den dicken, unfaßlich ausufernd speisenden, jüdischen Tenor Katz, die bildschönen, lasziv singenden „Kalinka Sisters“ aus Georgien und den geisterbleichen Offiziersadjutanten und ehemaligen Ballettänzer Aljoscha. Diese Gesellschaft, dies Kulturgemisch gibt sich wie aus vergangenen Zeiten aufgetaucht: erlesen, nah an der Dekadenz, ein bißchen melancholisch und herrlich genießerisch. Mit kleinen, wunderschön altmodischen Showeinlagen unterhalten sie sich gegenseitig. Nur Irm Hermann, die deutsche Studienrätin, bleibt etwas zickig und reserviert.

Am nächsten Tag werden die Frauen, die in die Transmongolische Eisenbahn umgestiegen sind, von mongolischen Reiterinnen, einem Nomadenstamm, ent

führt - in eine Welt, die fremd und faszinierend ist, archaisch und bedrohlich, berauschend farbenprächtig. Mehr Sehnsucht eigentlich als Wirklichkeit drücken die Bilder aus, etwas Märchenhaftes liegt in der Darstellung dieser Kultur, doch folkloristisch oder pittoresk sind die Bilder nicht. Das Leben des weiblichen Nomadenstamms mit seinen seltsamen Riten, den Tänzen und Gesängen, den Freundschaftsbezeugungen - es bleibt als fremd im Blick, wird von der Kamera nicht theatralisch ausgebeutet, sondern in seiner ästhetischen Würde und - scheinbaren Unberührtheit zelebriert. Scheinbar, denn am Ende - die Frauen sind wieder im Zug auf dem Nachhauseweg - sitzt die mongolische Prinzessin in westlichem Kostüm samt modischem Hütchen da und sagt, sie gehe jedes Jahr für ein paar Monate zum Stamm zurück, um sich ihrer Identität zu versichern. Im Hauptberuf leitet sie ein Eßlokal. Auch sie also, die Angehörige eines uralten Nomadenstamms, nomadisiert längst zwischen den Kulturen.

Sybille Simon-Zülch

Schauburg, 20 Uhr.

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