Die einfachen Analogien greifen nicht mehr

■ Dr. Richard Stöß, Wahlforscher und Rechtsextremismusexperte an der Freien Universität Berlin, gibt eine erste Einschätzung zum Europawahlerfolg der „Republikaner“ als ein Protestpotential gegen das ganze Parteiensystem

taz: Die BerufspolitikerInnen präsentierten am Wahlabend Betroffenheit und Überraschung zum Wahlsieg der „Republikaner“. Ist ein Wahlforscher auch überrascht?

Stöß: Der Zugewinn an sich ist ja erwartet worden, überraschend ist die enorme Größenordnung sowohl im Bund wie auch in Bayern, wobei von vornherein klar war, die Südschiene wird stärker als die Nordschiene.

Versagt das traditionelle Instrumentarium der Wahlforscher bei den „Republikanern“?

Im Grunde sind sozialstrukturelle Kriterien ein ganz verläßliches Instrument, aber bei den „Republikanern“ ist damit so gut wie nichts zu erklären. Wir haben es mit einer Partei zu tun, die ihre Anhänger aus allen sozialen Gruppen bezieht, aus allen Lagern, aus allen Religionsgemeinschaften, aus allen Altersgruppen und aus allen Regionen. Das REP-Problem ist eher ein politisches und ideologisches Phänomen und keines der Sozialstruktur.

Es gibt ja einiges an unpassenden historischen Vergleichen. Wie ist die Realität: Bilden die Hochburgen der „Republikaner“ noch mal das alte Muster der NSDAP -Anhängerschaft ab?

Teils teils. Es gibt in Bayern durchaus Traditionsgebiete, wo die NSDAP stark war, später die NPD und heute die REPs. Aber es gibt genauso Gebiete, wo das nicht der Fall ist. Die Analogie: gestern Nazis, heute REPs, ist absolut unsinnig. Selbst wenn Wahlverhalten von Generation zu Generation tradiert werden würde, müßten wir die Bevölkerungsverschiebung nach dem Krieg berücksichtigen und auch die Veränderung der Problemlagen gegenüber der Weimarer Republik. Die REPs machen sich im wesentlichen an Problemen fest, die heute bestehen, und dafür kriegen sie Stimmen.

Das Kreuz für die REPs wird häufig als Protestverhalten interpretiert. Gibt es Anzeichen dafür, daß in Gebieten, wo politischer Protest seinen Ort in Bürgerinitiativen gefunden hat, die „Republikaner“ weniger Protestpotential binden können?

Das ist natürlich eine spannende Frage. Das muß auf der Ebene einzelner Wahlkreise unbedingt genauer untersucht werden. Ich würde aber die REPs nicht als Protestwähler sehen in dem Sinne, daß da Leute ihrer Partei einen Denkzettel verpassen, um bei der nächsten Wahl wieder zurückzukehren. Im Gegenteil: Da kommt eine Frustration und ein Mißtrauen zum Ausdruck, das nicht nur einzelne Parteien meint, sondern das ganze Parteiensystem. Daneben spielen dann noch soziale Verunsicherungen eine große Rolle.

Aber die Hochburgen der REPs in Bayern und Württemberg sind eher Musterländle als Krisengebiete.

Soziale Verunsicherung heißt ja nicht, daß die Leute kurz vor der Armut stehen. Nehmen wir mal München, eine total prosperierende Stadt, mit einer Explosion bei den Mietpreisen, wo dann eine neue Gruppe - wer auch immer dazukommt, die gezielt mit billigen Wohnungen versorgt werden, das ist eine Bedrohung, das produziert soziale Verunsicherung.

Mit der Wahlkampfkosten-Rückerstattung können die „Republikaner“ jetzt kräftig organisatorisch nachrüsten und sich beste Ausgangsbedingungen für die Bundestagswahl schaffen. Sehen Sie überhaupt Ansätze, ihnen WählerInnen abzujagen?

Ich sehe eigentlich von keiner Seite ernsthafte Versuche dazu. Die müßten nämlich mit einer radikalen Selbstkritik bei allen anderen Parteien beginnen. Die Unglaubwürdigkeit fällt doch nicht vom Himmel, ich nenne nur das Stichwort „Parteienfinanzierung“. Das ist doch absurd, daß in diesem Land ein Drittel der Gesellschaft massive finanzielle Probleme hat, und da greifen die Parteien mal eben 230 Millionen Wahlkampfkostenerstattung ab! Und dann glaube ich auch, daß eine Wählerschelte notwendig ist: Das kann man doch nicht einfach so durchgehen lassen, daß die WählerInnen den Rattenfängern mit den einfachen Lösungsformeln nachlaufen. Das sollte man nicht entschuldigen, sondern auseinandernehmen. Wir leben in einer Situation dramatischen sozialen Wandels, und die „Republikaner“ sind ein Produkt davon ebenso wie übrigens die Grünen. Das sind tatsächlich die beiden Pole, von denen heute die Politisierung von Problemen in unserer Gesellschaft ausgeht. Und das hat nichts mit der alten Gegenüberstellung von links- und rechtsextrem zu tun. Um die Auseinandersetzung mit diesen beiden Positionen kann sich heutzutage keiner mehr rumdrücken.

Interview: Georgia Tornow