Wer hören will, muß fühlen

■ Im Hörsaal der Universität werden harte Anforderung an die StudentInnen gestellt

„Es gibt genau einen kritischen Punkt, nämlich P (2 - 9)“, hat ein Professor an die elektrisch verstellbare Tafel im neuen Hörsaal der Universität geschrieben. Mathematik hin oder her, für die StudentInnen, die der Vorlesung lauschen, ist der kritisch Punkt ganz woanders: An der Wirbelsäule, eine gute Handbreit über dem Po. Denn die 700 Stühle, in dem gerade in Betrieb genommenen Gebäude, haben eine Macke: Ihre ursprünglich bequemen Rückenlehnen wurden nach der Erstinstalation auf behördliche Anordnung einfach abgesägt. Und das kam so:

Einen schönen neuen Hörsaal sollte die Universität bekommen. Erstens, weil große Vorlesungen in einigen Fachbereichen wieder in Mode gekommen waren und zweitens, weil die Uni eh‘ aus al

len Nähten platzt. Den Auftrag erhielt das Architektur-Büro Wolfram Dahms, der nebenbei Architektur-Professor an der Hochschule Bremen ist. Sein Entwurf wurde von der Bauabteilung der Universität und vom Hochbauamt geprüft und für gut befunden. Die Bauausführung hatte das Hochbauamt zu überwachen. Und da traf es sich gut, daß während der Zeit Helmut Dietrich, bis dahin für Bauangelegenheiten an der Uni zuständig, neuer Chef des Hochbauamtes wurde. Niemand der Beteiligten jedenfalls merkte, daß das ausgesuchte Interieuer nicht den Richtliniene über Fluchtwege entsprach. Niemand, bis auf den Sicherheitsingenieur der Universität, und der auch erst, als eigentlich alles zu spät war: bei der Abnahme des Baus. „Zu eng“, urteilte er unerbittlich und verweigerte die Freigabe.

Guter Rat kam, aber der durfte natürlich nicht teuer sein. Also ritzeratze mit der Säge die Lehne kürzen und schon waren die fehlenden fünf Zentimeter Fluchtweg da.

Als nun diese Tat vorbei, hört man plötzlich ein Geschrei. Und das kommt von den Studenten der Produtionstechnik. Nicht alleine die Rückenschmerzen, nein. Wer so etwa einen Meter achzig groß ist, stößt sich gleichzeitig seine Kniee an einer unter den Tischen angebrachten Klimaanlage. Und

beugt sich der fleißige Student über den kleinen Tisch, um zu notieren, was der Professor an die Tafel schreibt, bläst ihm unweigerlich kalte Luft aus eben dieser Anlage ins Gesicht.

Apropos Tische: Die sind etwa so groß wie ein DIN-A4-Blatt. Will die Studentin zum Beispiel ein paar Schreibutensielen auf den Tisch legen, ein Lineal gar, kommt sie unweigerlich in räumlichen Konflikt mit der Nahbarin. So nicht, beschlossen die angehenden Produktionswissenschaftler und entschieden, einstweilen keinen Fuß mehr in das Gebäude zu setzen.

So nicht, hatte zuvor auch schon der wohl Unbill ahnende

Rektor der Universität, Jürgen Timm, gedacht und den Senator darum gebeten, er möge ihn bitte anweisen, den Bau in Betrieb zu nehmen. Und der Senator tat's. Nur zu Eröffnungfeier konnte er sich bislang nicht entschließen.

Freuen können sich eigentlich nur RollstuhlfahrerInnen. Selbstverständlich hat der Architekt diesmal an spezielle Toiletten gedacht. Nur ein kleiner Wehrmutstropfen ist dabei. Während der Eingang zum Hörsaaal für RollstuhlfahrerInnen zu ebener Erde vorgesehen ist, befindet sich das Klo im ersten Stock. Kritischer Punkt in diesem speziellen Fall: Einen Fahrstuhl gibt es nicht.

hbk