Fernsehen und Werbung

■ Krieg nach Innen?

Die amerikanische Nielsen Media Research hat eine lang erwartete technologische Innovation angekündigt: die Kamera, die den Fernsehzuschauer filmt. In jenem großen System, das Fernsehen, Werbung und Zuschauer bilden, ist der Zuschauer immer noch das unbekannte Wesen. Und doch geschieht, so scheint es, alles nur für ihn. Genauer betrachtet aber ist es nicht das, was wir Fernsehprogramm nennen, das für ihn gestaltet wird; das Fernsehprogramm wird nur um seiner Unterbrechungen willen ausgestrahlt. Erst in der Werbung, das zeigen jetzt auch in Deutschland die Erfahrungen des Privatfernsehens, erst in der Werbung kommt Fernsehen zu sich. Der Zuschauer, der jenseits der flimmernden Scheibe sitzt, ist der Konsument. Diese Weisheit ist so alt wie das Zusammenspiel von Fernsehen und Werbung. Psychoanalytisch könnte man sagen: das Fernsehen verweist auf jenen anderen Schauplatz, hat seine Wahrheit an dem anderen Schauplatz, der der Markt ist, dort also, wo der Zuschauer als Konsument auf die Ware trifft, die die Werbung simuliert.

So alt wie dieses Spiel ist aber auch das Bedürfnis der Werbenden, zuverlässige Auskünfte über den Zuschauer zu erhalten. Die Frage, wer wie oft und zu welcher Zeit vor dem Gerät zu finden ist, entscheidet über Plazierung und Wert eines Spots. In den USA stehen - laut 'Time‘ - die Einnahmen von 25 Milliarden Dollar auf dem Spiel. Zwei Methoden haben bis jetzt bei Nielsen der Zuschaueranalyse gedient: das Tagebuch - medientechnisch gesehen die groteskeste, weil anarchronistischste Variante - oder der Knopfdruck auf ein kleines Gerät. Aber jetzt wird alles anders werden: eine Kamera wird den Zuschauer filmen. Sie wird nicht nur jeden Moment von Ab- und Anwesenheit direkt übertragen, nein, sie wird auch in der Lage sein, jeden Zuschauer zu erkennen. Tatsächlich filmt die Kamera keine Bilder, wie wir uns das vorstellen, sondern sie überträgt Daten, die sie aus Rastern gewinnt. Bevor die Kamera nämlich auf dem Fernseher postiert wird, wird sie gefüttert: die Gesichter der Haushaltsmitglieder werden gespeichert. Jetzt kann ein lichtempfindlicher Sensor den Raum vor dem Gerät abtasten. Bemerkt er Veränderungen der Helligkeit, dann wird die Kamera diese Veränderungen mit steigender Auflösung so lange erfassen, bis sie ein bekanntes Gesicht oder einen „Besucher“ erkennt. Dann erst beginnt die Datenübertragung an die Zentrale und von dort an die angeschlossenen Abonennten.

Die Technologie, die das Herz dieses „passive people meter“ bildet, wird vom Vater aller Dinge, dem Krieg, geliefert. Das computergesteuerte Rastererkennungssystem lenkte zuerst amerikanische Raketen, die auf Flugzeuge abgefeuert werden. Diese selbststeuernden Raketen aber müssen, das leuchtet jedem ein, zwischen sowjetischen und amerikanischen Flugzeugen unterscheiden können. Der bei Marktstrategen aller Art, von Werbungsspezialisten bis zu Programmgestaltern, so beliebte Begriff der Zielgruppe ist ganz berechtigt: der Zuschauer ist ein Ziel. So wie die Raketenkamera sowjetische von amerikanischen Flugzeugen unterscheidet, so unterscheidet dieselbe Kamera im Dienst der Medienanalyse, die die Werbung steuert, die verschiedenen Zuschauer.

Wer sich hier an Orwells 1984 erinnert, hat schon das erste Problem dieser neuen Technologie erkannt; und so versucht denn Nielsen gegen die poltischen Vorbehalte deutlich zu machen, daß nicht Bilder, sondern nur die Daten von An- und Abwesenheit übertragen werden. Das ganz große Problem aber haben die Amerikaner sofort erfaßt: es könnte ja sein, daß der Zuschauer, der die Kamera auf seinem Fernseher sieht, bemerkt, daß er fernsieht. Die naturwissenschaftliche Erkenntnis, daß die Anwesenheit der Apparatur das Experiment beeinträchtigt, wird hier ergänzt durch die Angst des Psychologen, der Zuschauer könne sich seiner Situation bewußt werden. Nicht nur die Gültigkeit der Analyse, deren Bedingung selbst steht in Frage: daß der Zuschauer überhaupt sich dem Fernseher hingibt.

Dissuasion, den Feind abschrecken, heißt die Formel, auf die die Verhinderung des Kriegs baut. Der große Medientheoretiker McLuhan hat das, was die Medien tun, persuasion, Überredung, genannt. Vielleicht lautet so die Formel einer Kriegsführung, die sich nach Innen richtet. Sie spielt sich ganz im Unbewußten ab, dort, wohin die Werbung zielt. Der wahre Krieg, diese Erkenntnis wird immer unausweichlicher, der wahre Krieg ist nicht der, den die Staaten verhindern, sondern der, den die Medien führen. Ereigneten sich im alten Krieg jene Stahlgewitter, in denen die Körper den Kugeln der Maschienengewehre und den Splittern der Granaten ausgesetzt waren, so befeuern die Medien das Unbewußte mit Worten, Bildern und Klängen. Zielten die alten Waffen auf die Verstümmelung des Körpers, so bedienen sich die neuen einer Psychotechnik, die formativ, also gestaltend auf das Unbewußte wirkt und so Einstellungen und Verhalten steuert. Dieser Technik bedient sich die Werbung, aber nicht nur die Werbung, wie eine vordergründig ökonomisch fixierte Analyse nahelegt. Daß die Technologie, die Nielsens Kamera steuern wird, aus dem Militärischen kommt, ist kein Zufall. Historisch gesehen, sind die Medien dieses Jahrhunderts, ob Radio, Kino, Schallplatte oder Fernsehen, allesamt Kriegstechnologien. Daraus folgt aber auch, daß eine diesen Medien angemessene Theorie in einer Theorie des Krieges gründen muß.

Arnim Adam