Lebens- und Sterbehilfe

■ Das endgültige zynische Lexikon

Ein hübsches kleines Giftschränkchen, ebenso tückisch wie tröstlich, ist das von Jörg Drews herausgegebene und im Haffmans-Verlag erschienene endgültige zynische Lexikon; schon sein Vorgänger, das 1978 bei Diogenes erschienene zynische Wörterbuch, leistete mir gute Dienste. Die definitive, umfassend bereinigte und bereicherte Neuausgabe von 1989 - derart lästige PR-Blähungen sind ebenso Haffmans-typisch wie die gesangbuchartige Aufmachung und der Preis: 20 DM statt früher 9,80 - versammelt auf 176 Seiten gut 900 Geistesblitze, Nadelstiche und Hammerschläge (der Herausgeber sagt: harte Wahrheiten), kurz, spitz, scharf, überlegen, süffisant, brachial und treffend formuliert.

Notwehrreaktionen denken- und schreibenkönnender Menschen sind das, geistige Attacken gegen die Allgemeinplätze von Glaube Liebe Hoffnung, präzise verbale Hiebe auf alltägliche Zumutungen wie Lärm, Patriotismus, schlechte Musik, Religion, mediales Gewürge, Wichtigtuerei, Psychologen, Kinderkriegerei usw., gegen den ganzen Rotz der Verblödetheit, der einen umgibt.

Mensch: Ein Gemisch aus Scheiße und Mondschein. (Arno Schmidt)

Egoist: Person minderen Ge schmacks; mehr an sich interes siert als an mir. (Ambrose Bierce)

Schwengel: Nach dem Ficken ist er nutzloser als eine Kunststofftapete in einer Hundehütte. (Erika Jen ninger)

Homosexualität: Ich verstehe nicht, wie man homosexuell sein kann. Das Normale ist doch schon unan genehm genug. (Egon Friedell)

Ärgern sollen (und werden) sich Betroffenheitsmafiosi, Tuguttempler, Menstruationskollektive, Pfaffen, Pädagogen und alle, die „aus dem Bauch“ auf dufte und gesellig machen, weil sie den Kopf bloß als klerikalen Halsverschluß tragen; mit Gewinn und grimmiger Freude wird das Bändchen jeder lesen, dem die Welt als tägliche Beleidigung des Verstandes begegnet und dem die Forderung nach generellem Bedeutungsschwangerschaftsabbruch nicht fremd ist.

Es sind fast ausschießlich tote Männer, deren pointierte, geschliffene und gezielte Hiebe Jörg Drews zusammengestellt hat: Benn, Wilde, Nestroy, Kraus, Flaubert, Schopenhauer, Nietzsche, Shaw, Lichtenberg, Pitigrilli, Baudelaire, Freud, Goethe, Hammett, Chandler, Brecht, Tucholsky, Walter Serner (dessen Andenken das Lexikon gewidmet ist), und mehr als 80mal hat Drews sich aus Des Teufels Wörterbuch von Ambrose Bierce (in der Neuübersetzung von Gisbert Haefs und ebenfalls bei Haffmans erschienen) bedient. Bierce: Zyniker: Schuft, dessen mangelhafte Wahrnehmung Dinge sieht, wie sie sind, statt wie sie sein sollten.

Schwerer tut sich der Herausgeber mit der Auswahl lebender Autoren, die noch nicht per Ableben in die Klassizität hinübergeglitten sind; der Gefallen etwa, den er an Salonschmeichler Werner Schneyder findet, bleibt zumindest unverständlich. Ganz und gar widerwärtig aber wird die Sache, wenn Drews seinen Verleger und Lektor Gerd Haffmans bauchpinselt und sich den Schleim noch stolz an die Brust klebt: Haffmans, Gerd: Dr. Cyn. H. C. der Universität Bielefeld (dort lehrt Drews Literaturwissenschaft, Anm. d. Verf.); praktizierender Zyniker, Zynismensammler und Miturheber dieses vorzüglichen Wörterbuchs. (S.67)

Dieser launig tönenden Aufgeblasenheit Drews‘, der sich bei der 'Süddeutschen Zeitung‘, einem Blatt, das man liest, wenn der Schlaf nicht recht kommen will, gern als Großkritiker geriert, fällt, bei aller funkelnden Schönheit der kompilierten Sudel- und Schnipseleien, am Ende fast das ganze Buch zum Opfer, denn Intention eines endgültigen zynischen Lexikons kann nur sein, auch lebenden Großkotzfiguren, etwa vom Schlage Drews, kräftig die Luft abzulassen. Schade drum.

wiglaf droste

„Das endgültige zynische Lexikon. Ein Alphabet harter Wahrheiten“ zugemutet von Jörg Drews & Co. Haffmans‘ Helfende Hand Bibliothek, 176 Seiten, 20 DM.