Surrogate der Feindschaft

■ „Neue deutsche Literatur“: ein Auslaufmodell

Vor einigen Jahren lancierte der schriftstellernde Computer -Narr Peter Glaser das Gerücht von einer „schrägen, schnittigen, adrenalintreibenden Literatur“. Seither tritt der Verlag Kiepenheuer & Witsch als Multiplikator dieses Gerüchts auf: Ausgemusterte Pop-Journalisten und forsche Jung-Feuilletonisten wurden zur Auffrischung des Verlagsprogramms als veritable Romanciers und Erzähler rekrutiert. Dieser Art von Literaturförderung verdanken wir einige der miserabelsten Romandebüts der achtziger Jahre: die Bücher von Joachim Lottmann (Mai, Juni, Juli) und Diedrich Diederichsen (Herr Dietrichsen). Auch in den insgesamt lesenswerten KiWi-Anthologien, in denen alle Jahre wieder „neue deutsche Literatur“ feilgeboten wird, sind zahlreiche Beispiele eines fröhlichen literarischen Dilettantismus zu besichtigen. Federführend an diesen Anthologien beteiligt ist Hubert Winkels, der wohl intelligenteste Kopf aus der Riege der KiWi-Literaten, der kürzlich eine beachtenswerte Studie zur Literatur der achtziger Jahre vorgelegt hat. Einige der von ihm „geschätzten Autoren“ hat er nun zusammen mit dem KiWi -Lektor Helge Malchow dazu animiert, sich mit dem Thema „Feindschaft“ zu beschäftigen - gleichsam ein kollektiver Versuch, sich nicht mit der eigenen Harmlosigkeit abzufinden. Feindschaften und Feindbilder, so klagt Winkels in seinem programmatischen Essay, sind völlig aus der Mode gekommen, erstickt von der Kultur des „herrschaftsfreien Diskurses“ und den Betäubungsprogrammen der Medien. Es ist das chronische Leiden an der universalen Indifferenz, an der schönen neuen Welt des „Anything goes“, in der „der Unterschied zwischen Dante und Donald Duck Jacke wie Hose ist“ (HM Enzensberger), das Winkels umtreibt. Darin steckt eine richtige Beobachtung: Denn das friedliche Tremolo der intellektuellen Debatten schläfert alle Gegensätze, Antagonismen und Widersprüche ein. Seit der Parlamentarisierung der Linken stehen die Zeichen auf Verständigung, Versöhnung, Fraternisierung. Schroffe Polemiken, die auf die Eröffnung politischer Auseinandersetzungen zielen, werden totgeschwiegen. Ob nun Joseph von Westphalen im Raben schrille Beleidigungen gegen den nationalkonservativen Publizisten Armin Mohler ausstößt („Wer rechts ist, ist eine Sau, das ist ganz einfach, und ich habe keinerlei Lust, diese Aussage zu begründen“), oder ob Klaus Theweleit (in der Frankfurter Zeitschrift Listen ) gegen den ehemaligen KBW- und jetzigen Kommune-Chef Joscha Schmierer vom Leder zieht: Niemand reagiert, diskursive Regelverletzungen sind nicht erwünscht, man geht einfach zur Tagesordnung über. Weil Winkels aber nur auf das gepflegte Gemurmel der Intellektuellen starrt, übersieht er die ganz alltäglichen Manifestationen von Haß und Feindschaft: den alltäglichen Rassismus und Ausländerhaß, den terroristischen Alltag in der Kleinfamilie. So verlängert sein Essay letztlich nur das literatentypische Lamento über die lähmende Langeweile im Kulturbetrieb. Die Sehnsucht nach einem Ende der Langeweile gebiert den Wunsch nach der Wiederbelebung sozial stigmatisierter Affekte: nach Haß, Feindschaft, Frontenbildung. Das Heimweh des Bohemien nach der verschwundenen Feindschaft artikuliert sich nicht minder wortreich als bei Winkels in den geschmeidigen Formulierungen des vielgelobten Andreas Neumeister, der aber nur sagt, daß er nichts zu sagen hat: „Nicht mal sexuelle Fantasien zu verbreiten macht mehr einen Spaß, seit es keine Provokation mehr ist. Die tendenzielle Abwesenheit von Regeln erschwert die Regelübertretung ganz ungemein.“ Aufgezehrt von der eigenen Erfahrungsarmut haben auch die meisten anderen Autoren Schwierigkeiten, Feindschaft zu thematisieren. Einige Autoren wählen journalistische Formen: Bodo Morshäuser in seiner Reportage über rechtsradikale Skinheads oder auch Joachim Lottmann in seiner Analyse der Deutschlandpolitik Adenauers, in der dumpfe gesamtdeutsche Untertöne mitschwingen: „1980 etwa erlosch etwas in den ehemals deutschen Herzen...: das Gefühl, Deutsche zu sein.“ Andere Autoren behelfen sich mit biederster Erzählprosa, in der das Thema wie auf ein Stichwort hin aufgerufen wird: „Er zitterte leicht und würgte seinen Haß hinunter und ballte die Fäuste“ (Manfred Seiler). Gegen die ironisch -essayistische Diktion eines Hubert Winkels, die zuweilen mit eleganten Phrasen über ihr Thema hinwegfliegt, protestiert Michael Wildenhain mit einem unverdrossenen Marxismus, der an Kategorien wie „Klassenwiderspruch“ und „Imperialismus“ festhält. Wildenhains Erzählung Tag der Arbeit montiert in harten Schnitten das Szenario eines politischen Straßenkampfes, der sich mit Feuer und Flamme für diesen Staat erwärmt. Wilde Kreuzberger Mai-Nächte werden mit Brokdorfer Demo- und alternativen WG-Szenen gekoppelt und mit Textfetzen aus Flugblättern und Briefen zu einem romantischen Genrebild des politischen Widerstands zusammengeschweißt. Bild an Bild klebt der Erzähler in ein alternatives Familienalbum: „Begrabt mein Herz am Heinrichplatz und in geweihtem Pflaster und bildet eine Wagenburg, die Luft riecht schon nach Gummi, das schmurgelt oder schmort.“ In dieser heroischen Idylle des Widerstands haben sich die kämpfenden Lichtgestalten die Fähigkeit bewahrt, zwischen Freund und Feind („die Bullen“) zu unterscheiden. Diesen Figuren bleibt natürlich die ernüchternde Erfahrung erspart, die Zeit-Redakteur und Anthologie-Autor Willi Winkler bei seinen alltagssoziologischen Streifzügen durch Hamburger Yuppie -Kneipen machen muß: „Plötzlich gehöre ich selber zur falschen Seite.“

Michael Braun

Helge Malchow/Hubert Winkels (Hrsg): „Feindschaft.“ Neue deutsche Literatur. Köln, Kiepenheuer & Witsch 1989. 320 S. DM 19,80