Neuer Stacheldraht

■ Der rumänische Diktator baut am Eisernen Vorhang

Gerade sechs Wochen ist es her, als die ungarische Regierung sich entschloß, den Eisernen Vorhang zum kapitalistischen Nachbarland Österreich abzubauen. Daß die Preise auf den Flohmärkten Budapests für ein paar Zentimeter des alten Drahtverhaus jetzt steigen, kann der Regierung wirklich nicht angekreidet werden. Es ist nämlich die Nachfrage, die die Preise in die Höhe treibt. Den Ungarn ist die Nostalgie teuer und das neue Stückchen Freiheit lieb geworden.

Anders muß es den Rumänen und den Menschen zumute sein, die der ungarischen Minderheit im Lande des Diktators angehören. Wenn jetzt rumänische Arbeiter auf Ceausescus Geheiß meterhohe Zäune an der ungarischen Grenze installieren, werden die Flüchtlinge ein noch größeres Risiko auf sich nehmen müssen. Schon jetzt wird dort scharf geschossen. Zwar kommen noch ungefähr 300 Flüchtlinge in der Woche durch, doch haben sich Meldungen gehäuft, wonach selbst Kinder durch die rumänischen Grenzwachen ermordet wurden. Und da die jugoslawischen Behörden in der Regel die rumänischen Flüchtlinge mitleidslos an Ceausescu ausliefern, wird nun die letzte Möglichkeit der Flucht verbaut.

Wenn sich auch das Image des rumänischen Diktators in aller Welt endlich verschlechtert hat, wenn sogar die Europäische Gemeinschaft zu Sanktionen und die USA zum Entzug der Meistbegünstigungsklausel für rumänische Produkte bereit sind, wenn „nur“ noch die DDR, die CSSR und Albanien den Kurs Ceausescus offen stützen, so sind doch spätestens jetzt schärfere Maßnahmen angesagt. Die Kritik Ceausescus an der nationalen Versöhnung in Ungarn und die unverhüllten Drohungen gegen die ungarischen Reformer können auch in der Sowjetunion, deren Führung sich zwar nicht mehr in die „inneren Angelegenheiten“ der anderen Länder einmischen will, nicht mehr ignoriert werden. Ceausescu beginnt nämlich ernsthaft, den Entspannungsprozeß zu behindern. Und das darf von keiner Seite hingenommen werden.

Erich Rathfelder