Senat läßt Polenmarkt räumen

■ Schon einen Tag nach dem Verbotsbeschluß des Berliner Senats werden die Kleinhändler davongejagt

Berlin (taz) - Wo vorgestern noch Hunderte von PolInnen auf dem Platz zwischen Philharmonie und Nationalgalerie ihren exotischen Ost-West-Kleinhandel betrieben, herrschte gestern gähnende Leere. Die Polizei hat das Verbot des Berliner „Polenmarkts“ - am Dienstag „aus zollrechtlichen Gründen“ vom Senat verfügt - schon einen Tag später exekutiert.

1.500 Handelswillige will die Polizei noch am späten Mittwoch nachmittag auf dem Platz im Berliner Bezirk Tiergarten gezählt haben. Dann fuhren Lautsprecherwagen auf und plärrten das Verbot in polnischer Sprache über das Gelände. Zugleich drängten die Uniformierten auf den Platz, forderten zum Verlassen auf und verteilten Flugblätter. Die Händler wurden darin unmißverständlich gewarnt: „Zuwiderhandlungen führen zur Ausweisung mit einem Vermerk im Paß, der die Wiedereinreise verbietet.“ Gedroht wurde auch „mit der Beschlagnahme der zum Verkauf angebotenen Waren“. Der Markt löste sich unter der Polizeipräsenz zusehends auf. Nach Angaben der Polizeipressestelle sind Porzellan, Bekleidung und Zigaretten „sichergestellt“ worden. Bei sieben polnischen BürgerInnen seien die Personalien überprüft worden.

Die Lautsprecherwagen patrouillierten seitdem kontinuierlich in der näheren Umgebung. Der geräumte Platz ist zwischenzeitlich mit einem Zaun versperrt. Den Kleinhandel konnten die Ordnungshüter dennoch nicht gänzlich unterbinden. Er hat sich, wenn auch in geringerem Umfang, in die Seitenstraßen verlagert. Wo die Polizei erscheint, werden die kunstleder Fortsetzung auf Seite 2

nen Reisetaschen verschlossen und anschließend an anderer Stelle wieder geöffnet.

Der Frankfurter Dezernent für multikulturelle Angelegenheiten, Daniel Cohn-Bendit, kritisierte das Verbot des Berliner Polenmarktes gestern als „Kurzschlußhandlung“ des rot-grünen Senats. „Was mich sauer macht, sind diese ordnungspo

litischen Sauberkeitsargumente“, sagte Cohn-Bendit zur taz. Der Berliner Senat habe die große Ausstrahlung dieses Marktes offenbar noch gar nicht zur Kenntnis genommen. Dieser Markt sei die erste realexistierende Überwindung der Mauer gewesen. Auch im Ausland habe er große Aufmerksamkeit gefunden und sei als „ein Stück neuer Ostpolitik“ angesehen worden. „Wir können doch nicht gegen die autoritäre Bürokratie des Realsozialismus wettern und dann genauso vorgehen.“

Die Berliner Bundestagsabgeordnete der Grünen, Siggi Friess, zeigte sich „empört, daß unsere Fraktion und unsere Senatorinnen dem Verbot zugestimmt haben“. Die AL habe gekniffen und sich um die Auseinandersetzung mit der SPD herumgedrückt.

Erika Trenz, Sprecherin für Auslän

derpolitik der Grünen im Bundestag, nannte das Verbot eine traurige Entscheidung. Der Berliner Senat habe nicht intensiv genug nach anderen Lösungen gesucht. Mit dem Markt gehe ein Stück einer anderen Kultur verloren.

Otto Schily kritisierte das Verbot des Marktes als „jämmerliche administrative Maßnahme“ und „ganz üble Entscheidung“. Hier sei der Einfallsreichtum gefordert und nicht die Polizei. Um die Probleme zu beseitigen, müsse ein neues Gelände und eine andere Infrastruktur gefunden werden, aber „daß man denen jetzt einfach ihr armseliges Päckchen wegnehmen will, das verschlägt mir die Sprache“, sagte Schily zur taz. Der AL warf Schily Versagen vor. Sie habe sich geduckt und den Anspruch einer multikulturellen Gesellschaft verspielt.

wg/-man