Eva Brauns Vetter

■ Der südafrikanische Kabarettist Pieter-Dirk Uys auf dem „Theater der Welt„-Festival in Hamburg

St.-Pauli-Theater, Reeperbahn: ein Mann im Khakianzug und mit Sonnenbrille erklärt den Raum zum besetzten Gebiet; hier gelten jetzt die Gesetze von Südafrika. Wenn auf der Bühne eine Straftat begangen wird, sind alle im Saal schuldig; ein obszönes Wort ist eine Straftat (wie Pferdeschwanz), eine Gurke ein obszönes Symbol, und obszön sei das Stillen eines Kindes. Pieter-Dirk Uys nennt sein Programm Adapt or Die - „Paßt euch an oder sterbt“, Devise Pieter Bothas, als er 1978 die Regierung übernahm.

„Wenn ich die Show in Südafrika zeige, bin ich eher beim XYZ des Alphabets; hier bin ich beim ABC, das heißt, ich muß sehr viel erklären, die Leute sind nicht informiert. Warum sollten sie auch, es ist nicht ihr Problem. In Südafrika verstehen alle die Anspielungen, weil sie ein Teil davon sind. Dort bin ich viel direkter und brutaler, weil ich weiter gehen muß, als die Leute erwarten. Ich muß dabei gesehen werden, wie ich die Gesetze breche, was ich ja ständig tue. Ich kündige das von der Bühne aus an, und sie müssen wissen, daß sie schon schuldig sind, wenn sie nur dabei sind. Wenn sie das nicht wollen, müssen sie gehen, und oft gehen dann auch einige. Es ist ein merkwürdiger Balanceakt zwischen der Theaterphantasie und der Realität in dieser Todeskultur.“

Der Mann auf der Bühne wechselt die Haut: im Khakianzug war er bullig, jetzt ist er schmal, für kurze Zeit er selbst, der Kabarettist. Ein Griff in eine der vier Pappschachteln, eine Perücke, ein anderes Hemd: der Gefängniswärter Nelson Mandelas steht vor uns, gebeugt und krumm. Mandela habe seit 22 Jahren nicht arbeiten müssen, giftet er, aber er ist auch ein bißchen stolz: er habe all die vielen Briefmarken sammeln dürfen. Er dreht sich um, verwandelt sich wieder: Eine Südafrikanerin, weiß, macht Reklame für ein Fleckenwasser, das selbst die hartnäckigsten Blutflecke aus der Uniform ihres Mannes entfernt. Rasch, fast beiläufig, wechselt Uys die Rollen, bis zu zwanzigmal vom weißen Faschisten zum farbigen Hilfspolizisten, von Bischof Tutu zu Margaret Thatcher. Die Stimme des Zensors mischt sich ein: Sich als Mann öffentlich in Frauenkleidern zu zeigen, ist obszön und auch verboten.

„Diese Show ändert sich ständig, weil ich mein Material dort verankern muß, wo ich gerade spiele. Insgesamt habe ich 40 verschiedene Personen entwickelt, die Show könnte acht Stunden dauern. Wenn ich reise, wähle ich aus für ein bestimmtes Publikum. Theater spiele ich seit zwanzig Jahren, zunächst auf der Universität, dann war ich auf der Filmhochschule in London. In Südafrika schloß ich mich zunächst dem „Space Theatre“ an, damals das einzige nichtrassistische Theater, 1973. Dort begann ich zu schreiben, zu inszenieren, zu spielen und Programm zu machen, einschließlich dessen, daß wir schwarze Menschen versteckt haben, wenn die Polizei uns überfiel. 1981 begann ich mit einer Ein-Mann-Show, das war die Folge meiner Wut. Für mich war das die einzige Alternative zur Gewalt, und in Gewalt sehe ich keinen Sinn. Deshalb war Satire, Humor, schwarzer Humor, meine Möglichkeit, meine Angst zu bekämpfen. Wäre ich schwarz, würde ich wohl nicht Theater spielen. Ich nutze die Tatsache, weißer Südafrikaner zu sein. In der Familie meines Vaters gibt es führende Leute der politischen Partei der Afrikaner (por-Apartheid). Das macht es schwerer für sie, etwas gegen mich zu unternehmen, weil ich sie als meine Familie anspreche. Übertragen auf Deutschland wäre ich vielleicht Eva Brauns Vetter und hätte Zugang zum Führerbunker. Die Gesetze sind nicht so sehr für Weiße gemacht, die so handeln, sondern gegen Schwarze, die das gleiche tun. Natürlich tun sie es nicht, weil sie sofort eingesperrt würden.“

Uys ist Sohn eines Afrikaners. Seine Mutter ist eine deutsche Jüdin, die vor den Nazis aus Berlin floh. Er sagt, er sei „jüdischer Afrikaner“. In seiner Show führt er nicht nur die vielen Varianten der Apartheid vor, in virtuoser Verwandlungskunst; besonders regt ihn Heuchelei auf.

„Es ist so einfach, das eine zu sagen und das andere zu tun. Das wird zur Zeit moderne Politik. Schriftsteller zum Beispiel, die über kulturellen Boykott reden, obwohl es wichtig wäre, daß sie eine Menge zur Apartheid sagen, die finde ich heuchlerisch. Leute z.B., die Südafrika nicht besuchen, weil sie was gegen Apartheid haben, obwohl sie dort eine Menge gegen die Apartheid beitragen könnten, finde ich heuchlerisch. Jemand, der glaubt, etwas gegen die Apartheid zu tun, wenn er sich vor die Botschaft stellt, 'Freiheit für Mandela‘ ruft und dann sein Bier trinken geht und vielleicht sogar an Investitionen im Land beteiligt ist, das nenne ich Heuchelei. Das ist sicher auch eine Gefahr, wenn ich hier auftrete, weil es ein einfacher Weg ist, sich das Gewissen zu erleichtern.“

In seiner Show ist die blondtoupierte Dame im Morgenmantel besonders beliebt. Während sie sich schminkt, plaudert sie über ihre schwarze Hausangestellte, die putzt, kocht, wäscht und die Kinder versorgt. Sie soll ein kleines Haus in Soweto bekommen, mit einem Extraraum für die ganze Familie. Sollten die Schwarzen doch einmal die Macht übernehmen, hätte man dann gleich ein Haus in Soweto, mit einem Extraraum für eine Hausangestellte. Als sie, eine weiße Liberale, gefragt wird, was sie denn tue, daß ihre Hände immer so gepflegt sind, antwortet sie „Nichts“.

„Die Konzeption vieler weißer Liberaler in Südafrika begreife ich oft nicht. Entweder ist man für oder gegen die Apartheid, das heißt, du bekämpfst sie, oder du bist ehrlich genug, zuzugeben, daß du von ihr profitierst. Mein Problem mit typischen weißen Liberalen in vielen Ländern ist, daß sie sagen, ja, ich hasse die Apartheid, aber die Schwarzen kann ich auch nicht leiden. Da kann ich nur noch ironisch werden. Natürlich haben wir nicht genügend Leute, die in Demokratie ausgebildet sind, weil wir nie eine hatten. Was ist die Lösung - ein Mensch, eine Stimme? Wenn die meisten zu verängstigt sind, um überhaupt zu wählen? Mit dieser Diskussion haben wir noch nicht einmal begonnen, wir verhandeln erst über Verhandlungen. Meine liberale Lady ist in Südafrika häufig vertreten. Im Publikum gibt es viele, die sich als bekehrt betrachten, und die werden oft sehr sauer. Ich muß die Leute verärgern, weil ich nicht will, daß sie sich zurücklehnen und sicher fühlen; jeder hat diese kleinen dunklen Geheimnisse in der Seele. Alle sagen, laßt uns abwarten, was kommt. Ich muß handeln, weil es meine Alternative ist zu Bomben und Knarren, und davon halte ich nichts. Humor ist meine wichtigste Waffe.“

Lore Kleinert