Rücke vor bis zur Kochstr. - Ein Umzug in vier Phasen

■ Was dem Hund die Duftmarke, ist dem tazler das Stahlregal: Territorialkämpfe im Großraumbüro Kochstraße

14TAZ-INTERNSAMSTAG, 14/6/89 24.5.89

34.702 Abos

Wer spricht von Siegen. Überstehn ist alles!R.M.Rilk

Der tazzler an sich ist bieder und ehrlich. Und vor allem optimistisch: Wie macht man einen Umzug, mit 120 Mitarbeitern, 80 Schreibtischen, vier Tonnen Archiv, einem rechnergesteuerten Fotosatz samt Redaktionssystem, mit 50 Terminals, Laserprintern, Belichtungs- und Entwicklungsmaschinen etc.? Natürlich in drei Tagen und ohne eine Ausgabe ausfallen zu lassen! Leider wurden schon die Vorarbeiten für den generalstabsmäßig vorbereiteten Blitzumzug auf hinterhältige Weise torpediert - vom Monopolisten bundesdeutscher Datenfernübertragung, der Bundespost. Als es nämlich Schwarz-Schillings Mannen in Form von drei Expertentrupps - einer verlegt bis zum Haus, einer im Haus und einer schließt an - nach mehreren Anläufen endlich gelungen war, im neuen Haus die Datex-P-Leitung zu installieren, kappten sie auch gleich die Datenstränge in der Wattstraße. Und schnitten damit die Redaktionszentrale nicht nur von ihren Korrespondenten, sondern auch von den Druckereien in Frankfurt und Hamburg brutal ab.

Die letzten Tage im roten Wedding sollten in wehmütiger Gemütlichkeit vonstatten gehen, doch plötzlich war das Erscheinen der Zeitung ernsthaft gefährdet - nach zehn Jahren Routine wurde die taz wieder so produziert wie am ersten Tag: im totalen Chaos. Doch dann zeigten die Postler Eigeninitiative, pünktlich 15 Minuten nach Andruck stand die Leitung wieder (Entstörer Schmidt: „Ich höre Datenfluß!“) zu spät, aber immerhin.

Dann lief die „Phase 1“ des Blitzumzugs an: Wände wurden eingerissen, die noch warmen Maschinen demontiert und transportsicher verpackt und alles für „Phase 2“ vorbereitet, die im Morgengrauen (Punkt 3 Uhr) startete: das Speditionskollektiv „Avanti“ rollte mit sieben rotgrünen LKWs und einem Dutzend Profis in Sachen Möbeltransport pünktlich an. In drei Schichten sollten die Avanti-Packer von jeweils 15 tragfähigen tazzlern unterstützt werden - zur Frühschicht um drei Uhr hatte sich jedoch nur ein Häuflein von 5 Aufrechten eingefunden - und auch bei den späteren Schichten glänzte vor allem eine Mitarbeitergruppe durch Abstinenz: die Redaktion. Offenbar hatte man eine Parole der Redaktionsleitung (ausnahmsweise) ernstgenommen, daß nämlich Kopfarbeitern derlei körperliche Verausgabung nicht zuzumuten sei - so erschien denn der erste Redakteur gegen 9 Uhr 30 und wurde von den übernächtigten Kollegen mit stehenden Ovationen empfangen: „Phase 2“ war auch ohne Mithilfe der sog. Intelligenz erfolgreich abgeschlossen, die Etage in der Wattstr. glich einem verwaisten Trümmerfeld, der Hausstand der taz war in der Kochstraße. Und auch „Phase 3“ - Aufbau und Installation - wäre wahrscheinlich erfolgreich verlaufen, hätte nicht das vergoldete Handwerk mit doppeltem Boden geglänzt: die Entwicklungs-Maschine, die den taz-Texten das schwarz-weiße Leben einhaucht, paßt nicht in den Raum, der eigens für sie gebaut wurde: die Tür ist 3,5 Zentimeter zu schmal. Was tun? Die komplizierte Maschine zu zerlegen und drinnen wieder zusammenzubauen, dauert nach Auskunft der Spezialfirma mindestens 24 Stunden. Also die Tür verbreitern. Auch das geht nicht - der Bauleiter weist daraufhin, daß es sich um stählerne „Schnellbauzargen“ handelt, die zuerst montiert und um die dann drumherum gemauert und gerigipst wird. Also mit der Maschine durch die Wand? Rettung naht in Form einer schweren Metabo-Flex: ein passendes Loch wird in die Rigips-Wand geschnitten, die Maschine durchgeschoben, und wieder zugemauert. Doch während das Produktions-Nadelöhr „Entwicklung“ langsam sichergestellt wird, braut sich im hochsterilen Rechnerraum neues Unheil zusammen: Nachdem die Maler ihre Arbeit beendet hatten, und schon eines der beiden Herzstücke der Technik, denen die gesamte taz-Produktion auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist, dort plaziert war, setzt ein Bauarbeiter seelenruhig seinen Bosch-Hammer an, und beginnt die Mauer aufzustemmen. Als EDV-Graf Ralph, der gerade den Transport des zweiten Rechners überwacht, den ersten unter einem Zuckerguß aus Mörtelstaub entdeckt, gefriert ihm das Blut in den Adern, genügt doch gemeinhin schon die Andeutung eines Staubkörnchen um das millionenschwere High-Tech-Gerät außer Gefecht zu setzen. Aber die dicke Luft sollte nicht der einzige Alptraum im Rechnerraum bleiben. Wenig später macht eine Schreckensmeldung die Runde, die alles bisherige in den Schatten stellt. Wandelte der EDV-Graf bisher noch an der Peripherie des Wahnsinns, so ist er jetzt vom akuten Head -Crash bedroht: Wasser im Computerraum! Schon der Staub stellte eine außerordentliche Beleidigung der Rechner dar, Feuchtigkeit oder gar pures Wasser sind das reine, tödliche Gift. Gerade noch

rechtzeitig und bevor

die Computer mittels einer Überdosis H2O ins Nirwana entschweben, wurde die Pfütze und deren Ursache entdeckt. Ein Leck in der neu (und sinnigerweise genau über den Rechnern) eingebauten Klima-Anlage: die Installateure hatten vergessen Kühlflüssigkeit einzufüllen, ein herbeigerufener Notdienst holte dies nach, stellte den Druck falsch ein, und diese seltene Kombination von Fahrlässigkeit und Dilettantismus führte dann zur Klimakatastrophe.

Doch mit dem geplatzten Schlauch im Allerheiligsten war es nicht getan: der für Reprokamera-1 gebaute Raum erwies sich als zu schmal, um die Scheinwerfer auszuklappen, dafür war der Raum für die riesige Reprokamera-2 zu niedrig und der Boden zu schwach. Um dem vorkriegsmäßig anmutenden Monstrum zwecks Gewichtsverteilung eine Stahlplatte unterzuschieben, mußten erst zwei neu eingebaute Träger angesägt werden. Die Repro-Leute warens zufrieden, wäre da nicht ein Problem, mit dem auf allen Etagen heftig gerungen wird: die gute Idee, den Kabelsalat unter den Fußböden zu verlegen (die das Kreuzberger Strippenzieher-Kollektiv Kitec souverän in die Tat umsetzte), schlug angesichts scheinbar willkürlich verteilter Anschlußcontainer schnell in ihr Gegenteil um.

„Überall, wo ein Container im Boden ist, kommt ein Schreibtisch hin“ begründete Planungsdirektor Andy die Stromverteilung - doch vor die Schreibtischverteilung hat der liebe Gott die Territorialkämpfe gesetzt. Dieser Kampf um jeden Quadratmeter im taz-Großraumbüro war weder geplant noch beabsichtigt, doch hat er sich zur bis dato ungelösten „Phase 4“ des Umzugs ausgewachsen. Im Unterschied zur Wattstraße, wo die taz-Ameisen in Kleinbüros- und Kammern auf einer Etage arbeiteten, stehen in der Kochstraße 6 Stockwerke mit je einem Großraumbüro zur Verfügung. Die letzten Umzugskartons waren noch unterwegs, da bewaffneten sich die ersten Abteilungen schon mit Stahlregalen, Aktenschränken, spanischen Wänden, Grünpflanzen und sonstigem Mobiliar, um ihre Reviere abzustecken. Für einen ersten Eklat sorgte die Werbeabteilung, die das für die Redaktionsleitung vorgesehene Terrain im 3. Stock schon am Freitag um 9 Uhr komplett besetzte: in der Urfassung des Raumverteilungsplans waren sie für diese Ecke vorgesehen, wurden aber zwei Tage vor dem Umzug auf ein weniger helles Fleckchen im 1.Stock verlegt. Völlig unakzeptabel, wie PR -Chef Helmut sich entrüstet, da seine Abteilung des öfteren mit Farbanzeigen zu tun hätte, für deren Qualitäts-Kontrolle er nur bei großen Mengen Tageslicht garantieren könne. Im dritten Stock freilich stoßen die Werbeleute auf wenig Gegenliebe - dort arbeiten die großen Redaktionen Inland und Ausland, die zwar für Grüne, Sandinistas u.ä. die Trommel rühren, mit der taz-Eigenwerbung aber nichts am Hut haben. „Die Werbung soll in die Anzeigenabteilung“ ist der allgemeine Tenor, doch diese Rechnung wurde ohne den Wirt, die resolute Anzeigen-Chefin Lisa, und ohne den Gast gemacht: Werbeleiter Helmut reicht frustiert seine Kündigung ein, seine Kollegin Rula ringt mit den Tränen. So kann es nicht weitergehen, ein Kompromiß muß gefunden werden, doch das vereinfacht die Sache nicht. Im Gegenteil, je mehr kompromißbereite tazzler sich in die Verteilungskämpfe einschalten, desto verwirrender wird das Ganze: „Wenn die Medien in die Wirtschaft gehen und die Wirtschaft ins Inland, könnte die Redaktionsleitung ins Medien-Kabuff“ „ja aber dann sitzt die Werbung immer noch im Inland, und da ist es sowieso zu eng. Warum nicht die Werbung ins Medien -Kabuff und die Medien ins Besprechungszimmer zwischen Inland und Ausland“, aber in dieses „Besprechungszimmer“ will niemand hinein, es hat kein Fenster. Am Mittwochabend wird das Drama „taz-Volk ohne Raum“ auf einer dreistündigen Sonderkonferenz hin- und hergewälzt. Bevor man aber völlig ergebnislos auseinandergeht, wird zum rettenden Streichholz gegriffen: Das Los soll entscheiden. Die Redaktionsleitung zieht den Kürzeren und ins Besprechungszimmer - nichts ist gelöst. Ein pragmatischer Wirtschaftsredakteur schlägt vor, auf dem geräumigen Dach zwei Wohncontainer zu etablieren, was auf den energischen Widerstand der Dachterrassen -Fraktion stößt, die schon eifrig diverse Liegestuhlprospekte studiert und mit einer Hollywood -Schaukel liebäugelt. „Phase 4“ wird, soviel darf prophezeit werden, auch nach einer Woche im neuen Haus noch nicht erledigt sein, auch wenn beim ersten Fest nach dem Einzug reichlich Frust ertränkt wurde. Zur Sommersonnenwende hatte das Archiv in den 6. Stock geladen, in „Randys Bar Americain“, die einzige Institution, die auf Anhieb und ohne Probleme funktionierte. „Diese Bar ist schon heute der wichtigste Platz in der taz“, war die einhellige Meinung der begeisterten Besucher. Ein weiterer gutgemeinter Vorschlag zur Lösung der Raumfrage - „Hier müßte doch eigentlich die Redaktionsleitung stationiert werden“ - löste nur blankes Entsetzen aus: „Nein, nicht schon wieder.“

Bröckers/

Wegmann,

Team Blau

Fotos: Sabine Sauer