Sheela mit den großen Brüsten...

...wird im Kellergewölbe versteckt / Das irische Nationalmuseum schämt sich seiner besten Stücke  ■  Aus Dublin Ralf Sotscheck

Die Angestellte des irischen Nationalmuseums in Dublin will es ganz genau wissen: „Warum wollen Sie diese Figuren sehen? Wir öffnen unsere Katakomben nämlich nur für Leute, die ein wissenschaftliches Interesse nachweisen können.“ Wir können es nachweisen und erhalten zwei Wochen später einen Termin. Die Figuren, um die es uns geht, stehen in einer Ecke im letzten Gewölbe unter dem Museum. Zunächst müssen wir eine lange Steintreppe hinabsteigen, an deren Ende ein Gang liegt, der durch die Katakomben führt.

Hier wird alles aufbewahrt, was im Museum keinen Platz hat

-oder aus anderen Gründen nicht ausgestellt werden soll. Die „Sheela-na-gigs“ werden aus moralischen Gründen hier unten gelagert. Dieser englisch-irische Begriff bedeutet „Sheela mit den großen Brüsten“. Die elf Steinfiguren sind circa einen halben Meter hoch und zum Teil schon stark verwittert. Deutlich erkennbar sind die überdimensionalen Geschlechtsteile, während der Rest der Figuren nur sehr grob bearbeitet ist und die Gesichter grotesk und abstoßend wirken.

Die meisten Figuren wurden an den Giebelwänden von Kirchen im Süden und Osten Irlands gefunden - insgesamt 110 Stücke, von denen viele noch immer hoch droben an den Kirchenwänden hängen. Neill, unser Führer, glaubt, daß sie vor den „Sünden des Fleisches“ warnen sollten. Es ärgert ihn, daß die Sheela -na-gigs so große Beachtung finden.

Der Mythos um die Figuren rührt allerdings nicht zuletzt daher, daß sie in den Katakomben versteckt werden. Jedes Jahr erhält das Nationalmuseum Tausende von Anfragen aus aller Welt. Die Stein-Sheelas können jedoch mit dem (Ver -)Ruf, der ihnen vorauseilt, nicht mithalten. Viele BesucherInnen, denen die Figuren offenbar zu unspektakulär erscheinen, lassen ihrer Phantasie freien Lauf. So behauptete eine US-amerikanische Journalistin dreist, daß die moralbesessene Museumsverwaltung den Sheela-na-gigs Windeln umgebunden hätte. Die 'Irish Press‘ hat im letzten Jahr in einem Artikel gefordert, Irland solle endlich erwachsen werden und die Figuren der Öffentlichkeit zugänglich machen. Zur Illustration hatte die Zeitung das Foto einer Sheela-na-gig vom Museum angefordert und auch erhalten. „Diese Heuchler“, erbost sich Neill. „Die haben in der Zeitung dann nur den Kopf der Figur abgebildet.“

Neill bezeichnet die Figuren als „ausländischen Mist“, da die Normannen sie bei der Invasion Irlands im 13. und 14. Jahrhundert mitgebracht hätten. „Die Kunst der irischen Steinmetze war zu dieser Zeit bereits auf einem wesentlich höheren Niveau“, sagt Neill. Gegen den normannischen Ursprung spricht allerdings die Tatsache, daß viele Figuren bereits aus dem 9. und 10. Jahrhundert stammen, also aus der Zeit vor der Normannen-Invasion. Zwar wurden ähnliche Figuren auch in England und Nordwestfrankreich gefunden, doch wesentlich weniger als in Irland. Der deutsche Wissenschaftler Johann Georg Kohl hält die Figuren für Glücksbringer. Er schrieb 1843, daß die Männer im Mittelalter sich an „eine bestimmte Art von Frauen“ wandten, die sich vor ihnen entblößten. Dadurch sollte Unheil von den Männern abgewendet werden. „Viele Frauen machten daraus sogar einen Beruf“, stellte Kohl fest.

Da die Verdrängung einer - zumindest in moralischen Fragen

-freizügigeren Vergangenheit in Irland tadellos funktioniert, ist die Bedeutung der Sheela-na-gigs noch weitgehend unerforscht. Auch Neill ist dagegen, die Figuren im Museum auszustellen. Sie seien dort aus dem Kontext gerissen, sagt er. Aber welches Museumsstück wird schon im Kontext dargestellt? Dann kommt ihm jedoch eine Idee, die seine moralischen Bedenken verblassen läßt. „Wir sollten eine Abteilung mit erotischer Kunst eröffnen“, sagt er. „Wenn wir dafür 20 Mark Eintritt nehmen, können wir das Museum sanieren.“