Jahrhundert-Entscheidung in USA

■ Datenmaterial über 600.000 Arbeiter in Atomanlagen soll für die Forschung freigegeben werden / Ehemaliger Leiter des US-Krebsforschungszentrums versichert: „Es gibt nichts zu verbergen“

Berlin (wps/taz) - Das US-amerikanische Energieministerium will mit der jahrzehntelangen Geheimhaltungspolitik brechen und die Daten über Gesundheit und Krankheit der Belegschaften in Atomanlagen öffentlich machen. Mit der Entscheidung des Ministeriums werden die Daten von schätzungsweise 600.000 Mitarbeitern zugänglich, die seit Beginn des Atomzeitalters vor allem in Atomkraftwerken und Atomwaffenfabriken der USA gearbeitet haben. US -Wissenschaftler sprachen von einer epochalen Entscheidung, die einmaliges Material über die Wirkung von radioaktiven Strahlen zugänglich mache.

Energieminister Watkins hat die geplante Freigabe der Daten in einem Brief an US-Senator John Glenn mitgeteilt. Glenn sprach von einem Meilenstein in der Umweltpolitik. Bisher hatte das Energieministerium nur tröpfchenweise einzelne Daten über Krebsfälle und andere radiologische Auswirkungen von Radioaktivität veröffentlicht. Vielen Wissenschaftlern war der Zugang zu weiteren Krankheitsstatistiken verweigert worden.

Die Veröffentlichung erfolgt jetzt vor allem auf Druck von zahlreichen Senatoren und außerparlamentarischen Initiativen. Arthur Upton, der frühere Leiter des US -Krebsforschungszentrums, sagte, das nun zugängliche Material sei die weltweit umfangreichste Datensammlung über Arbeiter, die radioaktiver Belastung ausgesetzt waren. Um zu zeigen, daß man nichts zu verbergen habe, sei es wichtig, dieses Material zu veröffentlichen. In den letzten Jahren war wiederholt über eine erhöhte Krebsrate bei den Angestellten der amerikanischen Atomwaffenfabriken berichet worden. Von Regierungsseite war der direkte Zusammenhang mit Strahlen-Expositionen aber genauso regelmäßig bestritten worden. Zuletzt waren die Atomwaffenfabriken durch den Bericht von FBI und Untersuchungskommission scharf attackiert worden. In dem Bericht - die taz berichete am Mittwoch - waren haarsträubende Sicherheitsmängel aufgedeckt worden.

Dr. Alice Stewart, die große alte Dame der radiologischen Forschung, sprach von der besten aller Nachrichten, die sie bisher aus dem Energieministerium gehört habe. Die Erklärung des Ministeriums, daß die Daten „allen qualifizierten und unabhängigen Wissenschaftlern“ offenstehen sollen, dürfe nicht so ausgelegt werden, daß es für Wissenschaftler aus dem Umfeld von Bürgerinitiativen zu Behinderungen komme, sagte Alice Stewart.

Der Zugriff auf die Daten muß jetzt vom Energieministerium geregelt werden. Bisher werden die Aufzeichnungen an 14 verschiedenen Standorten aufbewahrt. Eine sinnvolle archivarische Ordnung scheint es dabei nicht zu geben, was die wissenschaftliche Auswertung erschweren wird. Dennoch soll laut Energieminister Watkins der Zugang innerhalb weniger Monate ermöglicht werden. Watkins kündigte außerdem an, daß die Unterlagen bis 1995 in einem nationalen Forschungsinstitut zusammengelegt werden sollen. Die Sicherung der Anonymität der Arbeiter, deren Daten da veröffentlicht werden sollen, spielt in der amerikanischen Diskussion offenbar keine Rolle. In den Presseberichten wird dieses Problem mit keinem Satz erwähnt.

-man