BKA „baute“ sich 'nen Kokaincoup

Sachstandbericht offenbart skandalöse Methode / Bremer Staatsanwältin hinters Licht geführt  ■  Von Klaus Schlosser

Bremen (taz) - Das Bundeskriminalamt in Wiesbaden ist eines der größten Syndikate im internationalen Rauschgiftgeschäft. Das geht aus einem vertraulichen „Sachstandsbericht“ hervor, in dem das BKA Rechenschaft über seine Methoden der „Rauschgiftbekämpfung“ ablegt. Dieser Bericht ist Bestandteil umfangreicher Gerichtsakten im Zusammenhang mit einem Kokainprozeß, der in der vergangenen Woche vor dem Landgericht Bremen stattfinden sollte. Der Prozeß mußte auf einen späteren Termin in diesem Jahr verschoben werden. Die Vorgeschichte und eigentliche Handlung geht auf das vergangene Jahr zurück, als Bremer Staatsanwaltschaft und Polizei eine der größten Erfolgsmeldungen in der Geschichte der Rauschgiftfahndung verbreiteten: In Zusammenarbeit mit dem BKA seien 50 Kilo Heroin mit einem Schwarzmarktwert von zirka 50 Millionen Mark in zwei Bremerhavener Schließfächern gefunden und sichergestellt worden, hieß es am 2.Juni '88.

Die Erfolgsmeldung fiel den Rauschgiftfahndern, wie die taz jetzt weiß, mehr als leicht: Der Rauschgiftcoup war von A

bis Z vom BKA selbst inszeniert worden. Das BKA hatte - laut eigenem TäFortsetzung auf Seite 2

tigkeitsbericht vom 13.Oktober '88 organisiert, transportiert und in Bremerhavener Schließfächern deponiert. Im Auftrag der BKA-Rauschgiftabteilung „RG25“ war Kriminalhauptkommissar Korn persönlich nach Ecuador geflogen, hatte dort bei einem „europäischen Staatsangehörigen“ - mutmaßlich einem V-Mann - das Rauschgift besorgt, es per Flugzeug in die Bundesrepublik geschmuggelt und am 31.Mai '88 in Bremerhaven in die Schließfächer 47 und 60 eingeschlossen. Laut Selbstdarstellung hoffte das BKA so einen internationalen Rauschgiftring auszuheben, der auf dem Bananenfrachter „Scottish Star“ über Bremerhaven Kokain in großem Stil nach Europa einschleuste. Angeblicher Kopf des Rings: der international gesuchte Rauschgifthändler Carlos Hidalgo. Hidalgo saß zum fraglichen Zeitpunkt allerdings längst wegen

Rauschgifthandels in einem lateinamerikanischen Gefängnis.

Als das BKA sich an die Arbeit machte, innerhalb des bislang vollständig selbstorganisierten Coups auch nichtbeamtete Verdächtige zu produzieren, fehlte denn Hidalgo auch auf der Observationsliste. Statt seiner ermittelte das BKA aufgrund der Passagierlisten internationaler Fluggesellschaften drei Südamerikaner, die im fraglichen Zeitpunkt Linienmaschinen zwischen Ecuador und der Bundesrepublik bestiegen hatten. Einer von ihnen war der 60jährige Geschäftsmann Julio Roberto C., der sich als Besucher der Bremer Hausfrauenmesse „Hafa“ gerade in Bremen aufhielt. In den ersten Junitagen erhielt C. in seinem Bremer Hotel mehrfach Anrufe von einem Landsmann, mit der Bitte, in Bremen Kontakte zu zwei weiteren Südamerikanern herzustellen. Daß es sich dabei um die Anbahnung eines Rauschgiftgeschäfts handeln sollte, will C. angeblich nicht geahnt haben. Sein Anrufer: ein gewisser Carlos Ponze, mutmaßlich V-Mann des BKA.

Mit der Liste der verdächtigen „Flugpassagiere“ - Hinweise auf weitere Verdachtsmomente gegen die Betroffenen lagen zu diesem Zeitpunkt offensichtlich noch nicht vor, in der BKA -Selbstdarstellung finden sie sich jedenfalls an keiner Stelle - beantragte das BKA nun bei der Bremer Staatsanwältin Graalmann die Telfonüberwachung sämtlicher Verdächtiger. Angeblich lägen Hinweise auf ihre Beteiligung an „der illegalen Einfuhr von 50 Kilo Kokain“ vor. Daß der Coup bis zu diesem Zeitpunkt in alleiniger Regie des BKA abgelaufen war, unterschlugen die BKA-Beamten der Staatsanwältin wohlweislich. Eingeweiht war dagegen, so das BKA, Bremens Generalstaatsanwalt Hans Janknecht. Auch Janknecht behielt sein Wissen jedoch für sich. Nichtsahnend setzte Staatsanwältin Graalmann daraufhin die gewünschten Abhörgenehmigungen durch.

Als BKA und MEK Bremen am 2.Juni zuschlugen, gingen ihnen aufgrund der von Carlos Ponze geführten und BKA-überwachten Te

lefonverkaufsverhandlungen im Bremerhavener Hauptbahnhof vier Dealer ins Netz. Zwei Deutsche wollten für 5.000 Mark Stoff kaufen, zwei Italiener wurden mit „Investitionsmitteln“ von 10.000 Mark erwischt. Auf den 50 -Millionen-BKA-Köder hatten kleine Fische angebissen. Sie alle sind inzwischen wieder auf freiem Fuß. Seit einem Jahr in Bremer Untersuchungsgefängnissen sitzen dagegen drei südamerikanische Fluggäste, die am 2.Juni aus ihren Hotelbetten verhaftet wurden und gegen die das BKA die auf höchst fragwürdige Weise mitgeschnittenen Telefongespräche in der Hand hat. Nur einer entkam den BKA-Fahndern unter rätselhaften Umständen: Der nach Sachlage vermeintliche Haupttäter und mutmaßliche V-Mann, Carlos Ponze. In einem vom BKA in gleicher Manier organisierten Rauschgiftcoup urteilte das Landgericht Hamburg inzwischen: „Der Kammer ist mit Anklageerhebung eine vom Bundeskriminalamt in einem bis dahin nicht vorstellbarem Maße gefälschte Akte vorgelegt worden.“