Geordnete Graffiti-Bahnen

■ Freie Fahrt für Graffiti an Bremer Straßenbahn

Die Höhlenmalerei unserer Tage ist das Graffito. Ein Begriff, der übrigens aus dem Italienischen kommt und „an die Wand Gekratztes“ heißt.

Wenn einst die Mauern von uns übrigbleiben, werden sich unsere wo auch immer herkommenden, nachfahrenden Historiker die Forschungsnase blutig stoßen an den Wandmalereien. Was für seltsame Wesen mußten in den versunkenen Epochen gelebt haben! Leider wird in jenen zukunftsfernen Zeiten kein Straßenbahn-Beiwagen mehr verloren auf einer Schiene stehen und von der großen Vergangenheit einer Kulturmetropole künden. Jener Beiwagen, den Huchtinger Jugendliche mit Graffiti „verzieren“ durften, und der anno 1989 zwei Wochen lang in Bremen unterwegs war. Niemand wird er mehr auf die Spur der Huchtinger Jugendkulturtage führen, für die er damals im Juni Werbung fuhr.

Daß Graffiti eigentlich eine verbotene Handlung ist, gerät aber schon in unseren Tagen in Vergessenheit. Wer erinnert sich noch an den Spraydosen-Propheten Harald Naegeli, Schweiz, der für seine Strichmännchen in's Ge

fängnis ging? In Bremen fährt Sprayer-Zorro nun mit Sichtkarte. Was für den guten Bürger Vandalschmierismus und Entwertung jedweden Eigentums, ist für Tolerante, wie die Bremer Straßenbahn AG, Ausdrucksschrei gegen das „Verschwinden der Menschen in der Anonymität“. Dieses „tiefere Motiv“ hat die Straßenbahner wohl dazu veranlaßt, vier seit eineinhalb Jahren aktivsprühenden Jugendlichen einen Straßenbahn-Bei(!?)wagen zur Verfügung zu stellen. „Beton und Metall werden sprechend. Auffallen durch Menge, in's Auge stechen durch Farbe, Größe und Güte (...). Graffiti, die Bestätigung des Am-Leben-Seins wird wird für den ernsthaften Sprüher zum Lebensstil“, heißt es in einer Mitteilung zum Graffiti und zum Projekt. Die „direkte Kommunikation mit diesen Gruppen“ spart der BSAG nebenbei Säuberungsbeiträge ihrer übrigen Einrichtungen in Millionenhöhe, wo üblicherweise „hastig unschön“ „und (illegal) besprüht würde. In den nächsten zwei Wochen ist die Kunst-am-Beiwagen auf der Linie 6 öffentlich zu bewundern. Claudia Kohlhas