Alpenrepublik voll auf Deregulierung

■ Privates Radio in Österreich in Sicht / Wird das staatliche Rundfunkmonopol abgeschafft?

Wenn im Oktober des heurigen Jahres die FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) des Jörg Haider, unterstützt von der konservativen Volkspartei (ÖVP), ein Anti-ORF-Volksbegehren startet, dann wird das Thema zum Renner in der innenpolitischen Diskussion der - immer wahrscheinlicher werdenden - Nationalratswahlen.

Die beiden Bürgerparteien wollen dem SPÖ-dominierten „Rotfunk“, in dessen „Kuratorium“ die sozialistische Fraktion - noch - die stimmenstärkste ist, ans Leder.

Flankiert von der 'Kronen Zeitung‘, Österreichs auflagenstärkster Tageszeitung („das Blatt, das alles macht“), an der seit rund einem Jahr die WAZ mit 45 Prozent beteiligt ist, werden sich die Antimonopolisten mit ihrer Befragung des Volkes regen Interesses erfreuen können.

Damit zieht die Waldheim-Republik - mit der ihr eigenen Verspätung - einer westeuropäischen Entwicklung nach, deren Ergebnisse so gut wie keine Auswirkungen auf die innerösterreichische Monopoldiskussion zeigen. Während andernorts überlegt wird, wie den fatalen Folgen des Deregulierungsprozesses - wie Kommerzialisierung und Konzentration - zu begegnen ist, überwiegt hierzulande einerseits die Rede von der Mär des Pluralismus sowie andererseits die Illusion, mit der Liberalisierung stünde die postmonopole Zeit der alternativen elektronischen Medienmacher ins Hause Österreich. Und damit der Sturm aufs Winterpalais.

Dabei reicht ein Blick über die Grenzen, um zu erkennen, was und wem Deregulierung nützt. Von Edinbourgh bis Palermo wühlen die Herren Maxwell, Berlusconi, Murdoch und Freunde durch den Äther, beherrschen „Networks“ die Szenerie auf Kosten der lokalen Programmacher, werden staatliche Sender unter dem Druck der Privaten - zur Selbstkommerzialisierung gezwungen.

Doch es wäre nicht die wahre Alpenrepublik, fände sich nicht eine Lösung, die der österreichischen Sehnsucht hin zur extremen Mitte gerecht werden könnte.

Hierzulande findet Medienpolitik traditionellerweise nicht statt

In der Koalitionsvereinbarung von ÖVP und SPÖ liest man was von „Liberalisierung im Hörfunkbereich“, und das war's denn auch schon. Wie und was wird genausowenig verraten wie das wann. De facto ist die Federführung bei der Neustrukturierung längst an den ORF und den Verband Österreichischer Zeitungsherausgeber (VÖZ) delegiert worden. Die Uniformiertheit sowie die Konsenssucht Österreichs Politiker wird ein Liberalisierungsmodell (Radio Print) zulassen, welches sogleich nach seinem Inkrafttreten verfassungsrechtlich bekämpft und somit wieder abgeschafft wird.

Das Konstrukt Radio Print erlaubt den Zeitungsherausgebern, und nur diesen, unter der Quasi -Aufsicht des ORF, „privates“ Radio zu machen. Konkret: In jedem österreichischen Bundesland werden die lokalen Zeitungsmonopole das lokale Radiomonopol zugesprochen erhalten. Exklusiv, versteht sich.

Die nicht vorhandene Verfassungskonformität - das Modell verstößt eindeutig gegen den Gleichheitsgrundsatz - stört dabei vorerst mal nicht. Die Herausgeber gewinnen Zeit und damit wichtigen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz, die nach der völligen Freigabe in den Markt drängen wird. Nebenbei verpflichten sie sich, das Fernsehmonopol bis auf weiteres nicht in Frage zu stellen. Und der ORF behält, dem Papier nach, sein Monopol. Eine österreichische Lösung.

Radio Print, an dessen Realisation noch vor kurzem niemand geglaubt hatte, entsteht vor recht kompliziert strukturiertem Hintergrund. In einer Art Kräfteparallelogramm heben einander unterschiedlichste Interessen gesellschaftlich relevanter Gruppierungen auf. Österreichs Sozialisten summen im geschlossenen Chor. „Ja“ zu Radio Print, ein „Ja“ zum staatlichen Fernsehmonopol. Die ÖVP präsentiert sich gespaltener, hat sie doch erhebliche Schwierigkeiten, ihre gesamte Klientel zu befriedigen. Einerseits die Wirtschaftstreibenden, die sich gerne am elektronischen Mediensektor engagieren würden, andererseits die zu ihr im Naheverhältnis stehenden Zeitungsherausgeber. Die Freiheitlichen sind für die totale Deregulierung, die Grünen suchen nach so was wie einem grünen, alternativen Medienverständnis und schweigen erst mal.

Die Zeit drängt jedoch. Österreichs Medienmacher sehen sich von Konkurrenten umzingelt, die immer größere Stücke vom Werbekuchen schneiden. Mit Sendern, die knapp hinter den Grenzen postiert sind, strahlen immer mehr Stationen weit ins österreichische Hinterland hinein. Und sollte in Ungarn das staatliche Sendemonopol fallen, wären die Ballungszentren Wien, Wiener Neustadt und St. Pölten leicht zu bestrahlen. Springer & Co haben sich bereits in die Liste der Konzessionsanwärter eintragen lassen.

Die deutsche Medienkolonie Österreich hat Handlungsbedarf

Das Modell Radio Print allerdings wird keine qualitative Änderung im Bereich der Medienpolitik bringen. Ohne gestaltende staatliche Maßnahmen, ohne Anti-Trust-Gesetze, ohne Rundfunkgesetz, wird sich am elektronischen Sektor selbiges ereignen, was in den vergangenen eineinhalb Jahren am Printsektor passiert ist: der „Ausverkauf“ österreichischer Medien an die vielfach kapitalstärkeren deutschen Verlagsgruppen. So ist die WAZ-Gruppe mit je 45 Prozent an den beiden größten österreichischen Tageszeitungen beteiligt sowie an den Magazinen 'Profil‘, 'Basta‘, 'Wochenpresse‘ usw. Springers Kapital hat die Gründung des 'Standard‘ ermöglicht, andere Verlage mußten sich mit kleineren Objekten zufriedengeben. Im Buch- und Filmbereich gilt das chronisch unterkapitalisierte Österreich bereits seit Jahrzenten als quasi-angeschlossen.

Karl Lind, Wien