Erfolgreicher Dialog von Körper und Geist

Borussia Dortmund holt den DFB-Pokal mit einem 4:1 gegen Werder Bremen / Dickel hört auf den Trainer, in sich rein, und macht zwei Tore / Präsident: „Borussia hat den Atem der Geschichte inhaliert“  ■  Aus Berlin Herr Thömmes

Es ist ja so einfach nicht, etwas fundamental Wahres zu äußern und dabei alles offen zu lassen. Horst Köppel, Trainer von Borussia Dortmund (Durchschnittsgewicht der Mannschaft: 74,53 kg*), kann das. Umgetrieben von der Frage, ob er denn spielt, der Norbert Dickel, oder nicht, klang das so: „Man kann in diesem Fall so oder so alles falsch und alles richtig machen.“

Einfach war die Entscheidung ja nicht. Vor sechseinhalb Wochen am Knie operiert, drei Tage vor dem Finale das erste Mal wieder mit der Mannschaft (Durchschnittsalter: 25,066 Jahre) trainiert, kann da einer Leistung bringen? Da war es interessant zu hören, daß es bei den Männern eines Bundesligaklubs ein wenig wie in der Selbsterfahrungsgruppe zugeht. Junge, hat der Trainer zu seinem Stürmer gesagt, „hör in dich rein“. Wonach es dem dann überlassen blieb, sich zwischen Ersatzbank und Rasen zu entscheiden.

Aus Dickels (Hobby: Aktion-Videos einmal die Woche) Innerem muß ein entschlossenes „Ja“ gekommen sein. Minuten vor Beginn wurde die Aufstellung geändert, Bernd Storck („Tarzan“)blieb fürs erste untätig. Und es sollte sich zeigen, daß sich der Rekonvaleszent beim Lauschen nicht verhört hatte: zweimal stand schließlich auf der Anzeigentafel - Norbert Dickel (9).

Womit auf einfache Weise Otto Rehhagel widerlegt war. „Es ist nicht wichtig, wer spielt, sondern wie gespielt wird“, hatte der Trainer von Werder Bremen (Durchschnittsgröße: 1,804 m) irrig geglaubt. Doch selbst Köppel hatte so seine Zweifel, ob der Dialog zwischen Körper und Geist richtig ausgegangen sei. Immerhin plagte ihn nach dem 1:0 die „Angst, daß wir das nicht mehr umbiegen können“. Karl-Heinz Riedle (Hobbys: Tennis, Ski) hatte da nach 14 Minuten und zwei, drei schnellen Schritten mit dem rechten Fuß ins lange Eck getroffen wie weiland van Basten beim Halbfinale der Europameisterschaft.

Nicht lange währte der Vorteil, dann war die Sache zumindest einmal begradigt. Rune Bratseths (FAZ: „Bezieht seine Kraft aus dem Glauben“) Bein zuckte beim Versuch, eine Flanke von Mill abzufangen, unerklärlich zurück, was Dickel freute und Köppels Angstzustand minderte. Zu dem Zeitpunkt wird der lange Schlaks noch halbwegs bei Kräften gewesen sein. Fünfzig Minuten später dann, beim 3:1, hat er nur so heftig nach dem runden Ding geschlagen, weil ein strammer Schuß „der müden Muskulatur weniger weh tut“.

Knapp 16 Meter mußte der Ball immerhin noch zurücklegen bis ins Netz (wieder hatte Frank Mill aufgelegt). War es wirklich so, daß Dickel bis dahin schon mehrfach „taumelte wie ein Nachtfalter“ (Bochum-Fan)? Als er wenig später zum Trainer auf die Bank durfte jedenfalls, war er „nicht nur platt, sondern mehr als platt. Da ging kein Schritt mehr.“

Für Otto Rehhagel war all das nicht weiter von Bedeutung, ihm war bereits das 2:1 (Mill) der „Genickschuß“. Das nämlich fiel in die Anfangsphase der zweiten Halbzeit, als es den Anschein hatte, die Bremer (Durchschnittsalter: 27,466) würden aus ihrer „optischen Überlegenheit“ (Köppel) auch Zählbares machen. An diesem Tag aber, da beide Abwehrreihen eher fehlerhaft herumwerkten, hatten die Borussen mit Mill/Dickel gegenüber Riedle/Neubarth das bessere Duo bei sich.

Auch die Kollegen spielten mit großem Eifer. Andreas Möller (Tennis, Backgammon) und Günter Breitzke (Tennis, Galopprennen), beide als technisch versiert gelobt, sahen in der ersten Hälfte die gelbe Karte. Und Otto Rehhagel sah einen Mill, der einfach „bissiger in Zweikämpfen“ zur Sache geht. Neubarth sei eben „etwas anständiger“ als diese teutonische Hugo-Sanchez-Ausgabe.

Das alleine aber kann den Dortmunder Erfolg nicht erklären. Ihr Präsident Gerd Niebaum glaubt ja, „daß die Mannschaft den Atem der Tradition inhaliert hat“. In den alten, historischen Kluften, mit denen auf den Tag genau vor 33 Jahren an gleicher Stelle die Deutsche Meisterschaft erreicht wurde, sind sie schon wieder angetreten: schwarzgelbe Ringelsocken, lange Hosen. Und dann waren da vielleicht 35.000 im Berliner Olympiastadion (nein, Eberhard Diepgen, Hermann Neuberger, es wird jetzt nicht vom „deutschen Wembley“ gesprochen), die sich vom Spiel ihrer Mannschaft nicht einfach nur unterhalten lassen wollten. Schwenkten mit viel Geschrei Hüte und Schals und Fahnen, selbst Bananen, nur weil sie gelb-schwarz sind, aufblasbar und riesig. Da ist es schon zu glauben, wenn einer wie Michael Rummenigge (Kino, Tennis, Backgammon) sagt, bei so einer Stimmung wisse er einfach, „heute mußt du laufen“.

Vielleicht hat ja Otto Rehhagel das gemeint, als er sagte: „Heute hat der Fußball gewonnen.“ Vielleicht aber waren am Samstag auch einfach alle nur nett zueinander. Der Köppel hätte den Goldpott mit seinen 43 Edelsteinen „auch den Bremern gegönnt“, und die finden ihn nirgendwo besser aufgehoben als bei der Borussia. Richtig geziert hat sich der Dortmunder Trainer, und ihn dann doch genommen. Wo ihn die Borussen doch gewonnen haben, und wo ihn halt die anderen so gar nicht recht wollten.

*Die Fakten verdanken wir der Recherchearbeit einer Sport -Wochenzeitung.

DORTMUND: de Beer - Kroth - Kutowski, Helmer - Breitzke (72. Lusch) , Möller, Zorc, Rummenigge, MacLeod - Dickel (76. Storck), Mill

BREMEN: Reck - Sauer (76. Burgsmüller) - Bratseth, Otten (54. Ordenewitz) - Schaaf, Wolter, Votava, Eilts, Hermann Riedle, Neubarth

SCHIRI: Tritschler (Freiburg, Außendienstmitarbeiter eines Heizungsgroßhandels)

ZUSCHAUER: 76.431 Zuschauer

TORE: 0:1 Riedle (14.), 1:1 Dickel (20.), 2:1 Mill (57.), 3:1 Dickel (71.), 4:1 Lusch (73.)