Vernunft ist nicht populär

Zum Tod von Professor Friedrich Hacker Auszüge aus einem Gespräch mit dem Konfliktforscher zum Kreuzberger 1.-Mai-Krawall und zur Deeskalationspolitik  ■ I N T E R V I E W

Freitag abend starb während einer Fernsehdiskussion über die „Republikaner“ im 3-sat-Programm der renommierte Wiener Psychiater und Konfliktforscher Friedrich Hacker im Alter von 75 Jahren. Hacker war federführend in der Aggressionsforschung und hat weltweit als Berater in Konfliktfällen gearbeitet. „Gewalt ist das Problem, als dessen Lösung sie sich ausgibt“, lautet die zentrale These in seinem Standardwerk „Aggression - die Brutalisierung unserer Welt“. Hacker ist Verfechter der Deeeskalationsstrategien. Er war bis zuletzt Mitglied der Bonner Gewaltkommission. Vor sechs Wochen hatte Hacker ZDF -Reportern in Wien das folgende Interview zu den Kreuzberger Maikrawallen gegeben.

Herr Professor Hacker, hat Sie der Ausbruch von Gewalt in Kreuzberg überrascht? Woher kommt diese scheinbar motivlose Gewalt, diese Randale „just for fun“, wie es heißt?

Prof. Friedrich Hacker: Ich bin sehr daran gewöhnt, daß das, was als motivlos erscheint, sehr bestimmte Motive hat, wenn diese auch leider nicht immer an der Oberfläche liegen. An und für sich hat mich dieser Ausbruch von aufgestauter Aggression, die da aus einer Kombination von Frustration, Not und Unfähigkeit, etwas schnell zu ändern, entspringt, eigentlich nicht sehr erstaunt, obwohl ich es nicht hatte vorhersagen können, gerade zu dieser Gelegenheit. Obwohl da ein Mechanismus stattfindet, der sehr häufig ist, aber bisher kaum beobachtet wurde. Nämlich, wenn immer eine liberale, gemäßigte, man könnte beinahe sagen: freundliche Regierung zur Macht kommt, ist das der Punkt, wo die Radikalen derselben Gruppe, die ursprünglich Sympathisanten waren, aufstehen, weil sie das als die größte Gefahr betrachten. Eben nicht den ideologischen Gegner, der in diesem Fall auf der rechten Seite zu suchen gewesen wäre. Die große Gefahr für diesen harten Kern der Randalen ist eben nicht die äußerste Rechte, mit der sie ja sehr, sehr viel verbindet (obwohl sie ja scheinbar denen entgegengesetzt sind), sondern die eigenen gemäßigten Leute, die ihnen sozusagen das Wasser abgraben. Man sieht ja mehr und mehr, so sehr sich die gemäßigten aller Lager annähern, desto mehr bekriegen sich die Radikalen auf den Rändern des politischen Spektrums.

Sie haben von der Verwandtschaft der Radikalen rechtsaußen und linksaußen gesprochen. Meinen Sie, daß mit solchen extremen Gewalttätern ein Dialog möglich ist?

In bezug auf die Stellung dieser Randgruppen gegenüber der Gewalt rechts oder links ist ja eine deutliche Verwandtschaft, ja, Intensität festzustellen. Beide glauben an die Macht der Gewalt, an die verändernde und sogar reinigende Wirkung der Gewalt, in diesem Sinne sind sie als Gewaltanbeter und Gewaltverherrlicher einander sehr ähnlich. Ein Dialog mit dem ganz harten Kern ist wahrscheinlich weder möglich noch wünschenswert. Man zermürbt daran. Was aber die Wirkung einer entschlossenen Deeskalationspolitik sein kann und sein wird, so würde ich kühn prophezeien, ist, diesen harten Kern zu isolieren, das heißt also die früheren Sympathisanten, davon abzudrängen und in die Mitte, in die Politik sozusagen, hinüberzuführen. Statt sie in der Gewaltszene, wo es nur Konfrontation geben kann, zu belassen. So sehr ich auch persönlich Gewalt verabscheue, muß ich doch ohne Zögern zugeben, daß gegenüber diesem harten Kern wahrscheinlich nichts anderes übrigbleibt als Gewalt. Aber das ist ganz anders, wenn man nur diesen harten Kern, der ja nur eine geringe Minderzahl ist, zu isolieren imstande ist, als wenn man gegen eine große Bevölkerungsgruppe mit blinder Gewalt zuschlägt und dies als erstes Mittel der Bewältigung von sozialen Problemen betrachtet.

Wie lautet nun Ihr Rezept, den harten Kern zu isolieren und mit den Sympathisanten einen Dialog zu führen?

Wir alle wissen, daß die instinktive Bauchreaktion, nämlich zurückzuschlagen und sich nichts gefallen zu lassen oder sogar abschreckend zu wirken, indem man also durch Gewalteskalation diese Spirale hinauftreibt, daß das nichts anderes tut, als unter dem Namen der Gegengewalt die Gewalt zu eskalieren und zu verewigen. Daher sind sich fast alle Wissenschaftler, theoretisch zumindest, einig, daß der vernünftige Weg, der Unvernunft der Gewalt zu begegnen, etwas ist, was heute Deeskalationspolitik genannt wird und Entschärfung bedeutet. Die einzige Frage ist, daß das nicht populär ist, aber die Vernunft ist manchmal nicht populär. Was man da empfehlen würde, ist eine Hartnäckigkeit und Geduld und die Fähigkeit, anfängliche Mißerfolge hinzunehmen und einer öffentlichen Meinung, die sich ja immer dramatisch aufputschen läßt, zu begegnen. Und zwar dadurch, daß man so langfristig eine vernünftige Politik betreibt, die eben zur Rückführung großer Gruppen in die Politik, aus der Gewalt heraus führt und die ja bisher, wo immer sie als solche langfristig praktiziert wurde, auch zu guten Erfolgen geführt hat. Während es umgekehrt Dutzende Beispiele gibt, wie die Eskalation der Gewalt, also die Begegnung der Gewalt durch Gegengewalt, zu nichts anderem als dauernder Eskalation und der Verewigung dieser gewalttätigen Umstände führt.

Dazu gehört aber zunächst, sich auch Rechenschaft darüber abzulegen, woher in unserer Industrie- und Konsumgesellschaft solche Gewalt überhaupt kommt? Haben Sie Erklärungen dafür?

Doch. Und es sollte die Ursachenforschung natürlich weitergehen. Obwohl ich sehr deutlich sagen möchte, daß die Erklärung durch Ursachen nicht notwendigerweise ein Rechtfertigung darstellt. Denn wenn man sagen kann, daß das aus der Not erfolgt oder aus der Sprachlosigkeit, aus der Chancenverminderung oder aus dem Ausländerproblem, stellt das keine Rechtfertigung für Gewalt dar, sondern nur einen Hinweis darauf, in welcher Weise gearbeitet werden muß.

Der Dialog soll sich eben nicht nur mit der Kommunikation als solchen befassen, sondern mit einer Themenbehandlung und mit einer möglichen Abschaffung und Verminderung solcher sozialen Probleme. Das gelingt auch regelmäßig, wenn man sich dem systematisch und über längere Zeitperioden widmen kann. Das, was man fürchten muß wie der Teufel das Weihwasser, ist diese mediengerechte, schnelle Regelung des Konflikts. Denn das ist ja unter vielen anderen eine der Grundursachen dieser Konflikte. Der harte Kern besteht ja aus Leuten, die keine Geduld haben und die sofort alles umgewandelt wissen möchten und die ja sagen; zwischen einer ganz konservativen und liberalen oder gar fortschrittlichen Regierung ist eh kein Unterschied, und daher sind sie gegen die alle. Und gerade gegen diesen Unsinn und diese Unvernunft heißt es eben vernünftige Maßnahmen zu setzen, die in der Dialogbereitschaft bestehen, allerdings nicht darin, daß man den Dialog winselt und darum bettelt.

Haben die „Erwachsenen“ nicht gerade ein Pflicht, mit dieser jungen Generation einen Dialog zu führen? Als Mitverantwortliche, daß „ihre Kinder“ so geworden sind?

Dem würde ich beipflichten, obwohl sich an dieser Frage ja die Geister scheiden. Gerade meine eigenen Generation und die danach ist sehr häufig der Meinung, daß wir uns genug mit den Jungen beschäftigt hätten; was diese bedürften, sei nicht unsere Gesprächsbereitschaft, sondern Disziplin und Härte und das Aufrichten von Hürden, damit sie sich da bewähren können. Das ist nicht meine Ansicht. Aber ich kann nicht übersehen, daß diese Ansicht von vielen Teilen der Bevölkerung geteilt wird, eben gerade von denen, die eher den Polizeieinsatz als den Einsatz von Psychologen fordern.

Was würden Sie der Presse sagen, die gerne fürs Draufhauen plädiert?

Mit denen hat, glaube ich, ein Dialog keinen Sinn, weil sie dies nicht notwendigerweise aus Überzeugung, sondern vor allem auch aus Geschäftsgründen tut. Und das ist nun einmal so, daß sich Sensationen besser verkaufen und es für das Unterhaltungsbedürfnis der großen Massen kein Substitut für Sexualität und besonders für Gewalt gibt, die halt die großen Unterhaltungsfaktoren der Massengesellschaft sind. Das Gespräc

führten Joachim Jauer und Holge

Kulick für „Kennzeichen D