„Desto schneller ist die KP am Knackpunkt“

■ AktivistInnen der chinesischen Studentenbewegung fordern Wirtschaftssanktionen gegen das Massaker-Regime in Peking

taz: In der bundesdeutschen Öffentlichkeit gibt es die Diskussion über einen Wirtschaftsboykott gegen die Volksrepublik China. Was haltet ihr davon?

StudentInnen: Wir chinesischen Studenten im Ausland plädieren fast alle für ein Boykott der Wirtschaftsbeziehungen zu dem Regime in Peking. Nur ein Boykott der westlichen Industrieländer ist ein Druckmittel gegen die jetzige Politik in Peking.

Befürchtet ihr nicht, daß ein Boykott nur dem chinesischen Volk schadet, die Führung sich aber darum nicht scheren wird?

Da muß man sich drei Fragen nach der Organisation der chinesischen Volkswirtschaft und Reform stellen, um das beantworten zu können. Erstens: Wo ist in der Reform das Geld hingeflossen? Zweitens: Wird die ländliche Bevölkerung von einem Boykott getroffen? Und drittens: Wenn ein Boykott Erfolg hat, könnte China es sich wieder leisten, sich von der Außenwelt abzuschließen?

Und wie lauten eure Antworten darauf?

Nur die Kader und ihre Familien haben letztlich wirklich an der Wirtschaftsreform verdient und einen ordentlichen Reibach gemacht. Sie haben alle dicke Devisenkonten im Ausland. Die einzigen, die kein Geld ins Ausland geschafft haben, sollen Hu Yaoband (verstorbener Parteichef; aus Trauer um dessen Tod gingen die Studenten im April auf die Straße, d.Red.) und Deng Yingchao (Frau von Expremier Zhou Enlai und frühere Vorsitzende der Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes, Adoptivmutter von Premier Li Peng).

Viele Geschäfte wurden unter dem Aspekt abgeschlossen, wieviel Bestechungsgelder für die Spitzenkader rausspringen, nicht, was für China sinnvoll ist. Was etwa bringen Joint -Ventures wie mit VW in Shanghai, die PKW für Kader herstellen, wenn wir Busse und LKW brauchen. Ferner wurde während der Reform nichts für den Umweltschutz getan. Die Natur ist in großen Teilen ruiniert. Vier chinesische Städte gehören zu den zehn meist verdreckten Städten der Erde. Sicherlich wären die Bürger von einem Boykott betroffen, doch am meisten wären es die Kader und ihre Familien.

Zu zweitens: 80 Prozent der Bevölkerung leben auf dem Land, viele ernähren sich aber mehr oder weniger selbst. China führt wenig landwirtschaftliche Güter aus. Ein Boykott der Früchte aus China würde also im Gegensatz zu Südafrika kaum die Lebensgrundlage der Bauern zerstören. Natürlich dürfen die Weizenexporte nach China nicht gestoppt werden, doch zumindest die Konsumgüter dürfen nicht mehr fließen.

Und drittens: Die Wirtschaftsreform wird ohnehin von den Konservativen als mißlungen betrachtet. Die Arbeiter und Städter sind auch wegen Einkommensverlusten und Inflation auf die Straße gegangen. Welche Alternative hat die Führung jetzt? Sie will politische Härte zeigen, versucht aber wirtschaftlich noch zu retten, was zu retten ist. Dazu brauchen sie Geld aus dem Ausland. Doch auch damit können sie den Karren nicht mehr aus dem Dreck ziehen. Sie haben einfach kein Konzept. Ferner läuft ihnen die Zeit davon. Die Greise, die jetzt an der Macht sind, haben höchstens noch zehn Jahre zu leben. Dann sind sie tot, aber China steht vor einem Scherbenhaufen. Je schneller die Wirtschaft zusammenbricht, desto schneller ist die KP am Knackpunkt angelangt.

Wenn die Reform und Öffnungspolitik durch einen Boykott des Auslands zu Ende ginge, kämen auch keine Intellektuelle und Reformkräfte mehr ins Ausland. Hieße das nicht, ihnen die geistige Nahrung zu entziehen?

Die Regierung bleibt am Ruder, solange der Laden läuft. Was den Reformkräften und Intellektuellen hilft, ist, wenn das jetzige Regime möglichst schnell zu Ende geht.

Wie müßte Solidarität aus dem Westen aussehen?

Die jetzige Regierung verbreitet mit offenen und heimlichen Hinrichtungen Angst und Schrecken sowie blanken Terror unter der Bevölkerung. Es muß unmittelbare und schnelle Aktionen gegen die Hinrichtungen geben. Mit dem Wirtschaftsboykott muß dann auf lange Sicht dagegen angearbeitet werden, daß die Ereignisse vom 4.Juni vergessen werden.

Interview: Jürgen Kremb

Spendenkonto für die chinesische Demokratiebewegung:

vorläufig bei der Gesellschaft für Deutsch-Chinesische Freundschaft Berlin West e.V., Kto.: 244 56-103, Postgiroamt Berlin, Bankleitzahl 100 100 10

1. Stichwort „Massaker in Peking“ für die Opfer und Hinterbliebenen

2. Stichwort „Demokratie in China“ für die Studentenorganisation im Untergrund

3. Stichwort „Solidaritätsaktivitäten“ für Öffentlichkeitsarbeit in der Bundesrepublik