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WEN DIE BIENEN LIEBEN

■ „Ressource Kunst“ im Künstlerhaus Bethanien und in der Akademie der Künste

Was ist Grün? Eine Farbe? Wie entsteht sie, wo kommt sie her? Fast nur Kinder, die noch nicht getrimmt sind im schulischen Frage-Antwort-Modus, üben noch die Tugend der bodenlosen Neugierde. Nichts für selbstverständlich nehmen. Von jedem Ding seine Geschichte wissen wollen. In allem ein Geheimnis vermuten.

Das Grün des Waldes und das Grün des Kupfers („Verde del bosco e verde del rame“) hat Guiseppe Penone konkret in seine gleichnamige Kollage eingebracht: über das mit grünbraunen Pflanzenpigmenten gemalte Walddickicht legte er mit Grünspanpatina überzogene Kupferrohre. Die Partikel, aus denen das Bild besteht, sind identisch mit dem, was es darstellt. Sein und Bedeutung fallen in eins. Die Stofflichkeit der Farbe - und damit auch ihre Endlichkeit wird ins Bewußtsein gerückt.

Das Wissen um die Kostbarkeit des Stoffes, aus dem die Bilder sind, war in den Epochen des Goldgrundes und Lapislazuli-Blaus noch fest verankert. Das Rot der Purpurschnecken stieg in den Rang einer nur den Königen vorbehaltenen Farbe auf Grund seines seltenen Vorkommens und seiner arbeitsintensiven Gewinnung auf. Die symbolische Bedeutung der Farben und ihr Stellenwert in der Repräsentation der Hierarchie stand in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrem materiellen Wert. Von der Gleichwertigkeit der Farben und ihrer unendlichen Verfügbarkeit ging erst die Neuzeit aus.

Die Wiederentdeckung der Geschichten, die jedem Stoff schon Gestalt geben, bevor er dem Menschen als Material in die Hand fällt, sind Teile des thematischen Konzepts der Doppelausstellung „Ressource Kunst“ im Künstlerhaus Bethanien und in der Akademie der Künste. Im Umgang mit den materiellen Rohstoffen ist der Kunst ein thematisch sensibles Feld entstanden, in das sich hineinzubegeben, jedes Ding - Eis der Antarktis so gut wie Plastikkanister vom Müll - als Schlüssel taugen kann. Umgegangen wird mit dem vieldeutigen Begriff der „Ressource“ eine eindimensionale Interpretation der Beziehung von Kunst und Natur, die Kunst allein als ästhetisches Mittel zur Darstellung von Natur begreift. Nicht gesucht haben die Ausstellungsmacher nach Landschaftsmalern oder Gartenkünstlern, die die Natur dort zu ihrem Objekt sehnsuchtsvoller Vereinnahmung machen, wo deren Zerstörung im Alltag gerade das Bedürfnis nach ihrer Ganzheit auf den nach idealtypischen Vorstellungen von der Natur arrangierten Körper - sei es des menschen oder der Erde - war gemeint. Nicht die artifizielle Idylle, in der noch einmal als harmonisches Ganzes aufscheint, was in der Realität immer nur stückchenweise und um den Preis seiner Parzellierung zu haben ist. An die Stelle der ganzheitlichen Fiktion Natur, wie heil oder bedroht man auch immer sie sehen mag, rückt die Nahsicht auf die einzelnen „Elemente“, ihre Energien und ihre Beschädigungen. Wirksam werden dabei vor allem minimalistische Gestaltungsmethoden, die nicht auf einer Durchformung des Materials bestehen, sondern nach einer intensiven Visualisierung seiner Beschaffenheit suchen.

Georg Jappe, Professor für Ästhetik an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg, entwickelte das Konzept und realisierte die Ausstellung mit dem Künstlerhaus Bethanien. Neben einer Ahnengalerie, die an Guiseppe Penone, Jochen Gerz, Beuys und Raffael Rheinsberg als Pioniere des behutsamen Umgangs mit ihren Rohstoffen erinnert, haben die meisten Künstler Installationen für „Ressource Kunst“ erarbeitet und geben schon in der oft einkalkulierten temporären Vergänglichkeit ihrer Inszenierungen den Eigenschaften des Stoffes nach.

Simple Mutprobe, die mir nie gelang: „Wenn du die Brennessel ganz schnell und fest anpackst, brennt sie nicht.“ Die erzwungene Distanz zur Natur schlägt um in die Suche nach der größtmöglichen Annäherung. In einem Akt der Wiedererweckung der abgestumpften menschlichen Sinne und der Rebellion gegen die zunehmende Taubheit aller sensitiven Organe holen sich Teresa Murak (aus Warschau) und Mark Thompson (aus Kalifornien) die Botanik und Zoologie direkt auf den Leib. Teresa Murak badet im warmen Schlamm aus Kressesamen, bis ihr eine grüne Haut wächst. Mark Thompson, der Bienenspezialist, taucht mit dem Kopf in einen Bienenstock ein, bis die summenden Viecher in dicken Trauben kiloweise an seinem Gesicht hängen. Für den Ausstellungsbesucher, der von diesem Akt des Eintauchens ausgeschlossen bleibt, hat Thompson einen Raum präpariert, in dem die Bienen in einem Draht- und Glasgehäuse summen. Wie in einer nach menschlichen Maßen dimensionierten Bienenwabe sind die Fenster dort mit duftendem und schimmerndem Wachs verschlossen. Als Produzenten der goldenen Scheiben stellt Thompson die Bienen von Imkern aus Ost- und West-Berlin vor, die er in den Wochen vor der Ausstellung mit einer altertümlichen Bienenfalle einfing und ihre Wege zwischen Bienenstöcken und Nektarquellen verfolgte.

Von den Weinbergschnecken hat sich Werner Klotz seine ästhetische Handschrift entliehen. Mit ihrem Schleim ziehen sie ornamentale Bänder über imprägnierten schwarzen Molton, der den trockenen Schleim als dünne, silbergraue Häutchen bewahrt. Oder sie kriechen über Stahlscheiben, in die sich ihre Schleimspur rostig hineinfrißt; je länger die Schnecken zugange waren, desto dichter das Muster. Die Rolle von Klotz selbst ist dabei nicht frei von der Zweideutigkeit eines naturwissenschaftlichen Versuchsleiters, der scheinbar nur beobachtet und analysiert, durch den von ihm vorgebenen Ablauf des Experiments aber schon das Herauszufindende nach seinen Interessen bestimmt hat. Vor Klotzens Spurenpräparaten begegneten mir die letzten Weinbergschnecken auf literarischem Terrain. In einer Kurzgeschichte von Patricia Highsmith wird ein Beamter zum gebannten Schneckenforscher, dem im Liebesspiel der Molluskeln neu die Schönheit der Schöpfung aufscheint, bis ihn die sich ins Uferlose vermehrende glibberige Masse unter sich begräbt. Dieser Geschichte drückt die angstvolle Vision einer Rache der Natur, einer Rebellion des Unterdrückten aus. Gegen diesen Horror, der sich in den viel größeren Dimensionen der Umweltkatastrophen schon realisiert, will die ästhetische Inszenierung der Behutsamkeit und das Ausstellen der Verletzbarkeit der natürlichen Ressourcen die hoffentlich noch möglichen anderen Wege aufzeigen. Highsmith aber hat in ihrer Geschichte schon die Naivität des entfremdeten Menschen ironisiert, der sich auf einmal den Mysterien der Natur hingeben zu müssen glaubt und darin ein Allheilmittel gegen die Substanzlosigkeit seines Lebens sucht. Ein wenig erinnern die Künstler in ihrer stillen Hingabe an den Schneckenforscher der Autorin.

Kalligraphische Regenbilder hat der Münchner Friedhelm Klein eingefangen. Mit Papier verkleidete Türme, präpariert mit Graphit und in die Landschaft gestellt, schwärzen Wind und Regen auf jeder Seite anders. Das aufgeklappte Papier ergibt das Bild, das Vorstellungen von Akustik und Heftigkeit des Regens, der Dicke der Tropfen und dem Tempo ihres Falls evoziert. Bei einer früheren Arbeit setzte Klein Pergamente, über die die an das Ufer rollenden Wellen des Meeres die Farbe geschoben hatten, solange dem Regen aus, bis sie nur noch in Fetzen hingen.

Lilli spielt nirgends so schön wie im Dreck. Von der Subversion des Schlamms gegen den Wahn der Sauberkeit erzählen Lilli Fischers Installationen, als ästhetischer Meditationsort wie zur Demonstration ökologiebewußter Pädagogik gleichermaßen einsetzbar. „Ungeklärter Wasserstand“ heißt ihre Anlage, die halb einer Ladenverkaufstheke und halb der Einrichtung eines Schullabors gleicht. Papierrollen mit Dreckwasserproben beschrieben, ungeklärte braune Brühen in Destillierkolben, unüberschaubare Zu- und Ableitungen: klären läßt sich hier nichts mehr. Doch im Verrottenden, Vermodernden und Fauligen, in dieser zersetzenden Lebendigkeit liegt zugleich ein ästhetischer und spekulativer Reiz, dem man zwar seinen Auftritt beispielsweise in den wurmzerfressenen Memento Mori Skulpturen des Barock nicht gerade ansieht, der aber dennoch in der Geschichte der Kunst auf eine stolze Tradition zurückblicken kann.

„Ressource Kunst“ sammelt die Gesten, die auf schon Vorhandenes zurückweisen und größere Aufmerksamkeit lehren wollen. So läßt sich der Bestand der Ausstellung mit eigenen Erinnerungen und Fundstücken des Sehens erweitern. Ich packe zum Beispiel die kleinen Steinpyramiden hinein, die das anonyme Heer der stadtmüden Wanderer, das truppweise in die korsischen Berge einfällt, dort an den Wegen aufgestapelt hat, und begrabe dort in Gedanken die tote graue Katze, die steif wie ein Steiftier und ohne sichtbare Verletzungen auf dem Fahrradweg lag, wahrscheinlich von einem Autokühler abgeprallt dorthin geschleudert. Wieder tauchen in den Erinnerungen auch die riesigen Betonschollen einer Autobahnbaustelle bei Hannover auf, zwischen denen durchfahrend ich mich plötzlich in eine Eiswüste oder eine im Entstehen begriffene Urlandschaft versetzt fühlte, anläßlich von Eberhard Eckerles Asphaltsammlung „Vanitas V“. Asphalt mit Kieseln versetzt, ehemals Straßenbelag, dann runtergerissen und als Schutt irgendwo abgelagert, in einen Fluß gespült, wurde im Flußbett wieder rund geschliffen, rund wie die Kiesel, die in ihm stecken. „Das Ende ist immer der Verlust der Kunstform, die Überführung in eine Naturform; Zeit und Wasser machen die Entropie anschaulich“, schreibt Eckerle zu den Asphaltstücken, die er aus der Murg fischte.

„Ressource Kunst“ beansprucht für die Kunst sehr deutlich wieder die Kategorie der Sinnstiftung und weist ihr eine verantwortungsvolle Aufgabe der Sensibilisierung unserer Wahrnehmung zu. Kunst gesteht sich damit selbst den Stellenwert einer notwendigen Ressource zu, einer Rohstoffquelle des Denkens.

Katrin Bettina Müller

„Ressource Kunst“ im Bethanien und in der Akademie der Künste bis zum 30.Juli.

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