Nicht das erste Mal-betr.: Erstes Atomkraftwerk durch Volksabstimmung stillgelegt", taz vom 8.6.89

betr.: „Erstes Atomkraftwerk durch Volksabstimmung stillgelegt“, taz vom 8.6.89

Es freut mich, daß Ihr über die erfolgreiche Volksabstimmung zur sofortigen Abschaltung des Atomkraftwerkes in Rancho Seco berichtet habt. Dies war nicht immer der Fall, wenn Volksinitiativen wie hier mit dem Instrument der direkten Demokratie Erfolge oder Teilerfolge gegen die weltweite Atommafia errungen haben.

Eine zentrale Aussage Eures Artikels aber ist schlicht falsch: Es sei „das erste Mal in der Geschichte der Atomkraft, daß ein in Betrieb befindliches Kraftwerk durch Volksentscheid abgeschaltet wird“.

So hat etwa die italienische Bevölkerung vor gar nicht langer Zeit mit Hilfe eines Volksentscheides die Stillegung aller im Bau oder im Betrieb befindlichen AKWs in Italien sowie den Verzicht auf alle geplanten Anlagen durchgesetzt. Diese Initiative war so spannend (und löste zwischenzeitlich sogar eine Regierungskrise einschließlich Rücktritts der Regierung aus), daß es lohnt, noch einmal kurz die wichtigsten Stationen aufzuzeigen:

Unmittelbar nach Tschernobyl wurden in Italien 1,5 Millionen Unterschriften (dreimal soviel wie erforderlich) für die Einleitung und Durchführung eines Volksentscheides gegen Atomanlagen eingereicht. Der Abstimmungstermin wurde auf den 14. Juni des kommenden Jahres angesetzt.

Je näher der Termin kam, desto größer wurde die Angst der herrschenden und der hinter ihnen stehenden Kräfte vor der Entscheidung des Volkes. So suchten sie nach Mitteln, die vom Volks bereits rechtsgültig beschlossene Abstimmung trotzdem noch zu verhindern.

Das gültige italienische Recht ließ nur einen abenteuerlichen - Ausweg: die Ausschreibung von Neuwahlen. Dann nämlich hat der Volksentscheid zurückzutreten und es müssen zwei Jahre vergehen, ehe die Unterschriften wieder neu gesammelt werden dürfen.

Also trat - kurz vor Durchführung der Volksabstimmung - die Regierung (gegen den wütenden Protest der Opposition, die diesen Trick durchschaute und der Regierung deshalb das „Vertrauen androhte“) zurück und schrieb exakt für den 14.6. Neuwahlen aus. Die Volksabstimmung war erst einmal gekippt.

Nicht gerechnet hatte die Regierung mit dem darauf einsetzenden Proteststurm quer durch die Bevölkerung. Der „Putsch der Regierung gegen das Volk“ führte dazu, daß nur solche Kandidaten gewählt wurden, die verbindlich erklärten, für die Durchführung der Volksabstimmung einzutreten. Also mußte das neu gewählte Parlament zähneknirschend und unter den kritischen Augen der Öffentlichkeit das Volksabstimmungsrecht ändern und die Durchführung des bereits beschlossenen Plebiszits ermöglichen.

In der so doch noch zustandegekommenen Abstimmung sprachen sich 80 Prozent der BürgerInnen Italiens für den Ausstieg aus der Atomenergie aus. Heute wird in Italien kein AKW mehr gebaut oder betrieben.

Übrigens haben wir auch in der Bundesrepublik 600.000 Unterschriften für die Einführung des Volksentscheides und für einen Volksentscheid gegen Atomanlagen gesammelt und kämpfen weiterhin für die Einführung des Volksentscheides auf Bundesebene. Die Bewegung wird immer stärker.

Gerald Häfner, MdB, IDEE, Bonn