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Keine blauäugige Mao-Renaissance

■ Betr.: Leserbriefe in der taz vom 13.6.89

betr.: Leserbriefe in der

taz vom 13.6.89

China - das war schon immer ein Lieblingskind der sogenannten deutschen Linken, wenn es darum ging, Farbe zu bekennen und sein ideologisches Süpplein zu kochen. Da berichtet die taz über Wochen hinweg so ausführlich und gründlich wie kein anderes Produkt im bundesdeutschen Pressewald über die Vorgänge in Peking. Dies nehmen manche LeserInnen offenbar kaum zur Kenntnis.

Wichtiger als sachliche Information, wichtiger als die unbedingt erforderliche Solidarität mit der chinesischen Demokratiebewegung, ist ihnen hier und heute erneut die Klassifizierung führender chinesischer Greise. Deng ist ein Faschist, und Mao hat das ja schon immer gewußt. In China ist in den letzten zehn Jahren der Kapitalismus „restauriert“ worden (wie eigentlich, wenn es ihn vorher doch gar nicht gab?), und auch das hat Mao schon immer gewußt. Alles Übel begann, als mit der Kulturrevolution und Mao gebrochen wurde.

Solches können nur Leute schreiben und denken, die sich seit mindestens zehn Jahren mit den konkreten Entwicklungen in China nicht mehr auseinandergesetzt haben. Die Bewahrung eigener Wunschbilder von Entwicklungen setzt die Ausschaltung des Verstandes voraus, nur so kann man immer recht behalten.

Jene typisch deutschen Beckmesser wollen offenbar gar nicht zur Kenntnis nehmen, daß das Massaker vom 4. Juni ein über zehn Jahre hinweg notwendig gegen die politischen Maximen des späten Mao durchgeführtes Reformprojekt abrupt beendet hat. Es gibt ihnen anscheinend auch nicht zu denken, daß jene senilen Tattergreise, die sich heute in Peking zunächst durchgesetzt haben, politisch nahtlos da wieder anknüpfen, wo Mao vor 13 Jahren aufhörte: an der Theorie des Klassenkampfes im Sozialismus und an der Tradition jener „Kämpfe zweier Linien“ zwischen Bourgeoisie und Proletariat in der Partei, an deren Ende bisher noch immer Tote und gesellschaftliche Rigidität standen.

Das Massaker des 4. Juni ist meines Erachtens der letzte Gipfel dieser Form der Auseinandersetzung, der zu erklimmen war. Weder in der Auseinandersetzung mit Mao noch in der mit Deng ist es der KP Chinas gelungen, sich gegen imperiale konfuzianische Traditionen, gegen die Allmacht seniler Führer durchzusetzen: politische Entscheidungen von allergrößter Tragweite sind letzten Endes von grauen Eminenzen im Geheimkabinett getroffen worden, und zwar immer dann, wenn es um die Bewahrung ihrer ganz persönlichen Machtmonopole ging.

Der Name Deng Xiaopings stand bis vor vier Wochen für ein die gesamte chinesische Gesellschaft erfaßt habendes Reformprojekt, das sich im Kern gerade von der beschriebenen Form der Willkürherrschaft abgesetzt zu haben schien. Dieses Reformprojekt hatte sicherlich Ecken und Kanten, verlief keineswegs widerspruchs- oder problemlos, es aber einfach als „kapitalistisch“ abzutun, gelingt nur Leuten wie W.Engelhardt u.ä., für die offenbar die leninistisch -stalinistische Variante des zentralen staatlichen Monopolsozialismus nach wie vor die alleinseligmachende Version gesellschaftlicher Entwicklungen ist. Auch die politische Kultur Chinas hat sich im Verlauf dieses Reformprojekts schrittweise verändert - wie anders ist die massive Demonstration gesellschaftlicher Gegenmacht im April und Mai auf dem Tienanmen denn sonst zu erklären?

Deng und seine Gefolgsleute stehen heute nur noch für Terror und Gewaltherrschaft. Die Folgen ihres Vorgehens für die weitere Entwicklung in China sind unabsehbar - wann, wenn nicht jetzt, hat die Kommunistische Partei Chinas, in deren Namen am 4. Juni die Schüsse fielen, jegliche Glaubwürdigkeit und jeglichen moralischen Kredit im In- und Ausland endgültig verspielt.

Das Massaker und seine Weiterungen in den letzten Tagen stellt die KP Chinas in die Tradition ihres historischen Konterparts, der Guomindang, die 1927 in Schanghai ein vergleichbares Massaker an den chinesischen Kommunisten begingen. Ähnlich wie in der Vergangenheit nur gegen diese Guomindang, so ist heute gesellschaftlicher Fortschritt in China mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nur noch gegen diese KP Chinas durchsetzbar.

Was in China passiert ist, ist, so denke ich, der letzte Sargnagel für die weltweite Kopie des leninistischen Modells der Herrschaft einer Kommunistischen Partei. Die Forderung nach der Durchbrechung dieses Modells stand im Kern hinter den Demonstrationen der BürgerInnen Pekings und der anderen chinesischen Städte, nicht etwa die nach einer Aufgabe des Sozialismus. Sie klagten nichts anderes ein als jene Versprechungen, die die Führung der KP Chinas schon längst gemacht hatte. Ihr Wunsch nach menschenwürdigeren Lebensbedingungen, nicht nur im materiellen, sondern auch im geistig-kulturellen Bereich, wurde im Interesse einer durch und durch korrupten senilen Greisenclique und ihrer Handlanger im Parteiapparat zusammengeschossen.

Damit erlosch auch einer der letzten Hoffnungsfunken, der sich auf die Reformierbarkeit sozialistischer Systeme von innen heraus gründete. An diesem Punkt muß sich eine aufrechte linke Debatte neu entzünden, und nicht etwa an einer blauäugigen Mao-Renaissance.

Rüdiger Weigelin, Dortmund 16

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