Endloses Studium statt Dialog in China

Chinas Führung demonstriert Geschlossenheit: Gruppenbilder mit Greisen haben Konjunktur / Propagandafeldzug gegen Zhao Ziyang / Überall im Land muß die Deng-Rede gepaukt werden / „Wer den Dialog fordert, wird verhaftet“  ■  Aus Peking P. Schmidt

In den chinesischen Medien geht die Schmutzkampagne gegen den abtrünnigen und abgesetzten Generalsekretär Zhao Ziyang weiter, dem alle fünf Parteiämter wegen seiner „Mitverantwortung für die konterrevolutionäre Rebellion“ entzogen worden sind. Die Parteiführung behält sich ausdrücklich weitere Maßnahmen gegen Zhao vor, „sein Fall wird überprüft“.

Angesichts der wilden Attacken gegen Zhao reiben sich in der Provinz viele Bürger verwundert die Augen, wie ein laut Radio „durchtriebener Liberaler voller eklatanter Fehler“ wie Zhao jahrelang als Generalsekretär gefeiert werden konnte. Zum Weg des „Sozialismus mit chinesischen Besonderheiten“ gehört eben die Besonderheit, so spotten die Studenten, daß alle paar Jahre der Parteichef als Parteifeind entlarvt und abgelöst werden muß. Seit Gründung der Volksrepublik sind das bereits drei Generalsekretäre: Hua Guofeng, Hu Yaobang und nun Zhao.

Neben der Hetze gegen alle „Abtrünnigen“ wird auf der anderen Seite von den Medien die neue Eintracht der Partei hervorgehoben. Die Zentrale Beratungskommission und die zentrale Disziplinkommission der Partei haben die Umbesetzungen in der Führungsriege bereits abgesegnet und „volle Unterstützung dieser notwendigen Entscheidungen“ ausgesprochen. Wan Li wird am 29.Juni die wegen der „Rebellion“ verschobene 8.Tagung des 7.Volkskongresses einberufen, „um den Geist des Parteiplenums zu studieren und den Bericht über die Niederschlagung der Konterrevolution entgegenzunehmen“. Die Tagung wird rein akklamatorische Funktion haben, der Hauch von Öffnung durch Diskussion und Gegenstimmen während der letzten Einberufung des Volkskongresses gehört der Vergangenheit an. Auf der Tagung des ständigen Ausschusses soll ein Entwurf zum Demonstrations- und Versammlungsgesetz geprüft werden.

Geschlossenheit zeigen ist derzeit die oberste Maxime. Gruppenbilder der greisen Führer im strengen Mao-Anzug mit den Aufsteigern Jiang Zemin und Li Ruihuan sollen die neue Geschlossenheit der KP demonstrieren. Im Fernsehen hielten die siegreichen Parteifossilien noch einmal Parade, die „alten Kameraden“ Yang Shangkun und Wang Zhen mußten sich dabei gegenseitig stützen.

Wie erst kürzlich nach der „wichtigen Rede Deng Xiaopings“, so wetteifern auch diesmal wieder Hunderte von Gremien damit, Jubeltelegramme an die Führung zu richten. Die 'Volkszeitung‘ ist seit Tagen damit beschäftigt, all die Unterstützungserklärungen der Provinzregierungen, der Armeeführung und der zentralen Staats- und Verwaltungsorgane abzudrucken. Der Inhalt ist immer identisch: „Die Verdienste der alten Generation von Revolutionären bei der Niederschlagung der Konterrevolution“ werden gewürdigt und die Personalentscheidungen begrüßt.

Die Bürger kommen da mit dem „gewissenhaften Studium der Parteidokumente“ kaum noch nach. Nach der Rede Dengs wurden im ganzen Land flächendeckend „Studienversammlungen“ durchgeführt. Die Rechtsanwälte hatten „nach dem Studium der Rede ein viel tieferes Verständnis der Verfassung“, die Vereinigung der Künstler versprach, „stärker die marxistische Kunst zu betonen“. Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften, Beamte, Offiziere, Richter und Polizei berichten in den Zeitungen ihre „Studienergebnisse“. Jetzt wiederholt sich die ganze Prozedur, „um die Beschlüsse und den Geist des 4.Plenums des 13.Parteikongresses zu studieren“. Für gestern'organisierten die übrigen anerkannten politischen Parteien, die Frauenvereinigung, die Offiziere und die Organisationen der nationalen Minderheiten Studientreffen.

Der Oberste Gerichtshof verpflichtete in der vergangenen Woche alle Volksgerichte, als Beitrag der Richter alle Konterrevolutionäre sofort abzuurteilen. Unter den Provinzstimmen meldete sich auch die Regierung der Region Tibet: Der Ausnahmezustand sei sehr erfolgreich, wie das Beispiel Tibet zeige. „Während in anderen Städten Unruhen stattfanden, blieb es in Tibet dank Kriegsrecht völlig ruhig.“ ('Volkszeitung‘, 27.6.89)

Studieren müssen aber auch die einfachen ArbeiterInnen. Eine Frau aus Tianjin berichtet von der Studiensitzung in ihrer Fabrik am vergangenen Sonntag: „Die Sitzung dauerte eine Stunde. Der Parteisekretär las aus den Reden Dengs. Währenddessen begannen immer mehr Kollegen, den Kopf in die Hände gestützt, einzunicken; ein Kollege hat sogar dabei geschnarcht. Wenig später schlief ich auch ein.“ Nach der Rede seien Diskussionsgruppen gebildet worden. Auf die Frage des Gruppenleiters, wer den Inhalt der Rede zusammenfassen könne, habe ein Lehrling geantwortet: „Ich weiß nicht, ich habe geschlafen.“ Ein Arbeiter: „Wer Dialog fordert, wird verhaftet.“ Ein anderer: „Ja, bloß keinen Dialog mehr fordern.“ Danach habe der Leiter die Sitzung für beendet erklärt. Die 50jährige Arbeiterin nimmt diese Schilderung auf ihren Eid. „Außerdem verteilte die Leitung Kleidung im Wert eines halben Monatslohns an Freiwillige für die Werkschutztruppe.“

Studieren müssen nun auch die Abiturienten. Die Erziehungskommission hat erlassen, daß vor dem Schulabgang unbedingt die Parteidokumente gepaukt werden müssen, „um die politische Erziehung zu verstärken“. Mittelschüler erzählen, daß bereits im normalen Unterricht Indoktrination betrieben wird: „Drei Stunden Politunterricht in der Woche, dazu noch Sonderstunden mit Themenschwerpunkten. Für die 5., 6. und 7. Klasse lauten die 'Erziehung Jugendlicher‘, 'Demokratie und Recht‘, 'Geschichte der Entwicklung der Gesellschaft‘. Alles aus der Sicht der KP.“

Einige Mittelschulen Pekings hatten sich im Mai an den Demonstrationen beteiligt, im Zentrum blieben viele Schulen geschlossen. Jetzt wird die „Erziehung“ intensiviert. Einige Schüler sind von der Polizei aus dem Unterricht geholt und als „Rädelsführer“ verhaftet worden. Trauerkränze der Schüler für die Toten des Massakers zerriß der Rektor der Kunstschule eigenhändig. Die Verhaftungswelle geht ungebrochen weiter. Gestern meldete die Zeitung sieben verhaftete „Randalierer“ im fernen Urumqi im Nordwesten Chinas.

Die Partei nutzt die Gunst der Stunde, um im Zuge der Generalabrechnung auch alle mißliebigen Oppositionellen zu verhaften. Die Begründung ist oft grotesk: „In Guizhou wurde der Ingenieur Zhang Shengming festgenommen, weil er seit 1987 fünf anonyme Briefe an Zentral- und Provinzbehörden geschickt hat. Der Inhalt der Briefe war jedesmal extrem reaktionär.“