Hausbesetzung gegen Wohnungsnot

In Nürnberg fehlen 10.000 Wohnungen / Die Situation verschärft sich zusehends Das „Günter-Sare-Camp“ versieht die Besetzung auch mit einer antifaschistischer Begründung  ■  Aus Nürnberg Bernd Siegler

Unter dem Motto „Mietboykott, Kündigung ins Klo Hausbesetzen sowieso“ formiert sich in Nürnberg eine neue Hausbesetzer-Szene. Seit Samstag campieren etwa 100 BesetzerInnen auf einem seit Jahren leerstehenden Gelände, auf dem in den nächsten Jahren im Rahmen der Stadtteilsanierung Kinderspielplätze und Sozialwohnungen errichtet werden sollen. Das Evangelische Siedlungswerk, Besitzerin des Geländes, duldete bislang die Besetzung durch das „Günter-Sare-Camp“. Ein vergangene Woche besetztes, seit 15 Jahren leerstehenden Hauses im Stadtteil Johannis wurde von der Polizei bereits nach zwei Stunden geräumt. Die BesetzerInnen protestieren mit ihren Aktionen gegen Wohnungsnot und Spekulation.

In der Tat ist die Wohnungsnot in Nürnberg erheblich. Der Leiter des Wohnungsamtes Erhardt spricht von einem Defizit von 10.000 Wohnungen. In den nächsten sieben Jahren werden zusätzlich 26.000 Sozialwohnungen aus der Preisbindung herausfallen. Der Wegfall der Gemeinnützigkeit von Wohnungsbaugesellschaften ab Januar 1990 werde den Boden für eine immense Mietpreissteigerung bereiten. Erhardt verglich die Situation auf dem Wohnungsmarkt mit der Lage zu Beginn der Hausbesetzerbewegung Anfang der 80er Jahre. Während die Stadtverwaltung als Lösung des Problems den forcierten Neubau von Wohnungen fordert, propagieren die Grünen ein Verbot der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Die steuerliche Förderung der Luxussanierung von Altbauwohnungen müsse sofort beendet werden.

Die Stadt selbst besitzt derzeit über 4.000 Wohnungen. Stadtrat Murawski von den Grünen kritisiert die Politik des Liegenschaftsamtes, diese Wohnungen möglichst schnell und billig weiterzuveräußern. Statt dessen sollte das städtische Eigentum gehalten, saniert und durch Neuerwerb ergänzt werden. „Diese Wohnungen können für sogenannte Problemgruppen bereitstehen und als Marktkorrektiv in Richtung billigerer Mieten wirken.“

Während dem Wohnungsamt nach eigenen Angaben kein leerstehendes Haus in Nürnberg bekannt ist, gehen die BesetzerInnen von circa 40 Objekten im Stadtgebiet aus. Ihr nächstes Ziel wird ein städtisches Haus sein, um die Stadt zu zwingen, Stellung zu beziehen - auch gegen die im Freistaat geltende Devise, kein Haus dürfe länger als 24 Stunden besetzt sein.

Wegen der „enormen Brisanz des Themas“ hat SPD -Oberbürgermeister Schönlein jetzt angekündigt, die im mittelfristigen Investitionsplan bis 1993 verankerte Summe für Wohnungsbaudarlehen auf 16 Millionen Mark zu verdoppeln. Er betonte, dieser Schritt habe weder etwas mit den Besetzung noch mit dem überdurchschnittlichen Abschneiden der „Republikaner“ bei den Europawahlen in der Stadt zu tun (17,6 Prozent). Die BesetzerInnen stellen ihre Aktionen dagegen bewußt in einen antifaschistischen Zusammenhang. Sie wollen mit der „Besetzung an einer der Wurzeln“ des Problems „Neonazis“ ansetzen. Reps, NPD und DVU würden Themen wie zum Beispiel Wohnungsnot aufgreifen, um dann die falschen Antworten (Ausländer raus) zu liefern. Die Besetzungsaktionen sollen dagegen die richtigen Zusammenhänge aufzeigen. „Weitere Schritte“ sind bereits angekündigt.