Hände weg vom Kühlschrank!

■ Australiens Premier Hawke wirbt heute in Bonn: Die Antarktis soll „Weltpark“ statt Rohstofflager werden

Manche Umweltkatastrophen lassen offenbar auch Betonköpfe aufschrecken. Vor einem Jahr sah es noch so aus, als würden sich die Industrienationen bald auf das Öl, Zink und Platin der Antarktis stürzen können. Doch seit dem Tankerunglück in Alaska scheint gar nicht mehr sicher, ob das internationale Abkommen über die Rohstoffausbeutung unter dem Packeis jemals in Kraft tritt. Ausgerechnet im bislang als umweltmuffelig bekannten Frankreich sammelte jetzt der Meeresbiologe Jacques Cousteau 700.000 Unterschriften, damit aus dem für das Weltklima so bedeutsamen Kontinent ein „Weltpark“ werde. Australiens Premierminister Bob Hawke kommt für zwei Tage nach Bonn und wird versuchen, auch die Bundesregierung davon abzubringen, den Rohstoffvertrag zu ratifizieren.

Vor einem Jahr noch hatte es so ausgesehen, als sei die Idee, aus der Antarktis einen „Weltpark“ zu machen, gescheitert. Am 2.Juni 1988 unterzeichneten 20 Staaten nach sechsjährigen zähen Verhandlungen einen Vertrag über die Rohstoffausbeutung in dem unbewohnten Kontinent, dem es mit dem seit 1961 gültigen Antarktisvertrag bis dahin ziemlich gut gegangen war.

Schließlich war in Zeiten des kalten Kriegs erstmals ein Territorium zur atomwaffenfreien Zone erklärt worden. Verboten war auch, Atommüll zu lagern. Der kälteste und trockenste Kontinent der Welt sollte ein „Freilichtlaboratorium“ sein. Aus dem Vertrag: „Es liegt im Interesse der ganzen Menschheit, die Antarktis für alle Zeiten ausschließlich für friedliche Zwecke zu nutzen und nicht zum Schauplatz internationaler Zwietracht werden zu lassen.“ Doch das kosmopolitische Moratorium gilt nur noch bis 1991. Dann kann es mit einfacher Mehrheit der Vertragsstaaten modifiziert werden.

Längst versuchen viele Länder, den anfahrenden Zug in die Rohstoffausbeutung nicht zu verpassen. Die Bundesrepublik stieg Ende der siebziger Jahre mit einem ehrgeizigen Programm ein. Unter SPD-Forschungsminister Hauff wurden ein Millionenprogramm aufgelegt, das der heimischen Großindustrie staatlich finanzierte Forschungsvorhaben zu Feintechnologien ermöglichte.

Die Schwerpunkte: Biowissenschaften (Erforschung der lebenden Ressourcen), Geologie und Geophysik (Suche nach Mineralien und Erdöl), Schiffstechnik, Bautechnik (Verhalten von Betonstrukturen im Eis) und Explorationstechnik (Bohren im Eis mittels Raketentriebwerken). Die BRD verfügt mittlerweile über das weltweit modernste Antarktisschiff, die „Polarstern“, und betreibt mehrere Forschungsstationen, darunter die Georg-von-Neumeyer-Station auf einem Territorium, über dem schon Naziforscher Hakenkreuzfähnchen abgeworfen hatten, um es als „Neuschwabenland“ für Germania zu beanspruchen.

Auch die zentrale Stellung des in Bremen ansässigen Alfred -Wegener-Instituts bei der Koordination internationaler Projekte ließ die Westdeutschen zu einem einflußreichen Vertragsstaat werden.

Worum es den Bonnern ging, wurde spätestens dann deutlich, als die Verhandlungen in Wellington gegen Schluß nicht mehr vom Auswärtigen Amt, sondern vom Wirtschaftsministerium geführt wurden.

Was steht nun in jenem Vertragswerk, um das jahrelang gefeilscht wurde? Mit ihm wurden Institutionen und Genehmigungsverfahren geschaffen, die den Rohstoffabbau in der Antarktis regeln sollen. Staaten und auch Firmen können mit ihren „Ressourcenaktivitäten“ loslegen, sobald eine sogenannte „Hauptkommission“ die Umweltverträglichkeit getestet und einstimmig die Öffnung des Schürfgebiets beschlossen hat. Hinterher soll - sozusagen per Regreßpflicht - die Natur in ihren ursprünglichen Zustand versetzt werden.

Doch wie stopft man Leckagen? Wie bereinigt man einen Blow -out, ein unkontrolliertes Auslaufen von Öl? Und wie schließt man Abraumhalden? Wo schon der Fußabdruck Riesenhubers im empfindlichen antarktischen Moos der Nachwelt zwanzig lange Jahre erhalten bliebe und die Schale einer Orange, die der Arbeiter einer amerikanischen Ölgesellschaft zum Nachtisch verspeiste, noch länger neben Öltürmen läge!

Schon vor dem Tankerunfall der Exxon Valdez in Alaska und einem nicht minder verheerenden Tankerunglück in der Antarktis Ende Januar, als aus dem argentinischen Tanker „Bahia Paraiso“ 600.000 Liter Heizöl flossen, richteten 81 neuseeländische Antarktisforscher im November 1988 eine Petition an ihre Regierung, in der sie jegliche Rohstoffausbeutung ablehnten.

Das Europaparlament zog nach und verabschiedete am 16.Februar eine Entschließung, in der ein „striktes Verbot jedweden Abbaus von Bodenschätzen“ gefordert wird. Die Tankerkatastrophe in Alaska brachte den Stein ins Rollen. Noch im April war die Greenpeace-Wissenschaftlerin Sabine Schmidt, die ein Jahr auf der Antarktisforschungsstation ihrer Organisation verbracht hatte, pessimistisch. Damals hatten schon 15 der 20 Vertragsstaaten das Abkommen ratifiziert. Nur ein Land fehlte noch, um es in Kraft treten zu lassen.

Doch am 22.Mai hat nun Australien - einer der sieben Staaten mit Territorialanspruch in der Antarktis, die alle das Vertragswerk ratifizieren müssen - sein Veto eingelegt, und Frankreichs Staatspräsident Mitterrand ließ vor zwei Wochen verkünden, man werde vorerst nicht ratifizieren.

Selbst Chile, das mit Vorliebe den Vertrag bricht, indem es wie Argentinien seine Basen auf der antarktischen Halbinsel militärisch nutzt und auf die zwei Prozent eisfreie Fläche Touristen karrt, zeigte sich Ende Mai flexibel: Man sei bereit, auf der Jahrestagung der Antarktisstaaten, die im Oktober in Paris stattfinden wird, über umfassende Maßnahmen zum Schutz des antarktischen Ökosystems zu verhandeln.

Der Bundestag diskutierte am 1.Juni einen Antrag der Grünen zur Greenpeace-Initiative, die Antarktis zum „Weltpark“ zu erklären, und gab ihn dann an den Wirtschaftsausschuß weiter. Das Rohstoffabkommen liegt derweil immer noch im Wirtschaftsministerium und wartet auf seine Ratifizierung.

Daß Bob Hawke das bei seinem Besuch in Bonn ändern kann, darauf hofft Irmi Mussak, die Antarktisreferentin von Greenpeace. Die geballten Ölunfälle der letzten Tage in den USA seien ein Beweis mehr dafür, daß Katastrophen vorhersehbar seien. Die Bundesregierung solle ihre „gewichtige Rolle“ unter den Vertragsstaaten wahrnehmen: „Greenpeace fordert die Bonner Regierung dazu auf, dem Vorbild Australiens zu folgen und sich bei den anderen Vertragsstaaten nachdrücklich für Verhandlungen über ein internationales Naturschutzgebiet Antarktis einzusetzen.“

Andrea Seibel