Elektrischer Stuhl auch für Behinderte

Oberste Gerichtshof der USA: Todesstrafe auch für Jugendliche und geistig Behinderte rechtens  ■  Aus Washington Stefan Schaaf

Auf den elektrischen Stuhl gehören nach Meinung der Obersten Richter der Vereinigten Staaten auch jugendliche Mörder über 16 und geistig Behinderte. Selbst in diesen extremen Fällen sei die Todesstrafe ein von der amerikanischen Verfassung zugelassenes Instrument des Strafvollzugs, bestätigte der Oberste Gerichtshof am Montag mit fünf zu vier Stimmen. Diese Entscheidung begräbt auch die letzten Hoffnungen der Gegner der Todesstrafe in den USA, Exekutionen - die in fast allen anderen westlichen Demokratien abgeschafft sind unter Berufung auf die Verfassung der Vereinigten Staaten ein Ende zu setzen.

Anwälte, Sprecher von Bürgerrechtsgruppen und liberale Mitglieder des Kongresses zeigten sich über das Urteil schockiert. Henry Schwarzschild von der „American Civil Liberties Union“ wies darauf hin, daß nicht einmal in der Sowjetunion oder in China Jugendliche hingerichtet werden dürften. Der kalifornische Kongreßabgeordnete Don Edwards sagte: „Mir fällt nur ein einziges Land ein, in dem Kinder sogar jeglichen Alters - exekutiert werden, nämlich der Iran.“

In den Todeszellen der USA sitzen mehr als 2.200 Verurteile, 27 davon waren jünger als 18 Jahre alt, als sie ihre Straftaten begingen; bis zu einem Drittel aller „Death Row„-Insassen dürften geistig behindert sein. Die Mehrheit der Richter des Supreme Court sind nicht der Ansicht, daß die Todesstrafe für Jugendliche oder geistig Behinderte eine „grausame und ungewöhnliche Bestrafung“ darstelle. Diese ist im achten Verfassungszusatz verboten. Antonin Scalia, einer der drei von Reagan ernannten Obersten Richter, vertrat in der Urteilsbegründung die Ansicht: Auch die seit der Fortsetzung S.2

Kommentar S.8

Verabschiedung der Verfassung fortgeschrittenen gesellschaftlichen „Standards der Schicklichkeit“ seien kein Grund, die Hinrichtung von Jugendlichen zu verbieten. Richterin Sandra Day O'Connor, gleichfalls von Reagan ernannt, bediente sich in ihrer Urteilsbegründung über die Exekution geistig Behinderter einer ähnlichen Argumentation.

Als Maßtab für diese „Standards der Schicklichkeit“ dienten Scalia „nicht lediglich die subjektiven An

sichten einzelner Oberster Richter, sondern die der gesamten modernen amerikanischen Gesellschaft“, wie sie sich in der Rechtslage der Parlamente widerspiegele. 37 Staaten verhängen derzeit die Todesstrafe, 25 sehen sie dabei auch für Jugendliche unter 18 Jahren vor. Nur ein Bundesstaat hat geistig Behinderte vor der Todesstrafe bewahrt. Supreme -Court-Richter William Brennan, ein prinzipieller Gegner der Todesstrafe, kritisierte diese Ansicht in einem bitteren schriftlichen Dissens: Es sei eine Flucht aus der verfassungsrechtlichen Verantwortung, wenn man eine solche Frage unter Berufung auf politische Mehrheiten entscheide.

Zwei Drittel aller Amerikaner haben sich für Beibehaltung der Todesstrafe ausgesprochen. Der Anwalt des geistig behinderten Mörders John Paul Penry, über dessen Verurteilung die Richter beraten hatten, wies jedoch auf Umfragen hin, die sich mit großer Mehrheit gegen die Hinrichtung geistig Behinderter ausgesprochen haben.

1972 hatte der Oberste Gerichtshof die damals gültigen Gesetze über die Todesstrafe für verfassungswidrig erklärt, 1976 Hinrichtungen jedoch wieder zugelassen. Seitdem sind 113 Menschen in 13 Bundesstaaten exekutiert worden.