Südkorea: Zurück in die Repression

■ Verhaftungswelle gegen Arbeiter, Studenten und Dissidenten / 150.000 unter Überwachung

Berlin (dpa/afp/taz) - In Südkorea werden derzeit mehr Menschen verhaftet als zu Zeiten der Militärdiktatur. Zwei Jahre nach den ersten freien Präsidentschaftswahlen scheint sich Präsident und Ex-General Roh Tae Woo damit endgültig von der versprochenen Demokratisierung zu distanzieren.

Erstmals wurde gestern mit Suh Kyung-Won (52) ein Oppositionsabgeordneter inhaftiert. Suh wird zur Last gelegt, daß er im letzten August nach Nordkora reiste und sich dort mit dem nordkoreanischen Präsidenten Kim Il-Sung zu Gesprächen traf. Er gehört Kim Dae Jungs „Partei für Frieden und Wiedervereinigung“ an, die sich eilfertig von der Reise ihres Abgeordneten distanzierte, weil er sich „gegen den Willen der Öffentlichkeit“ vergangen habe.

Die Partei kündigte „strenge Strafmaßnahmen“ an: Sie will Suh ausschließen und sich bei der Nation für den Vorfall entschuldigen. Ebenfalls wegen Kontakten zu Nordkorea war bereits vor wenigen Tagen Anklage gegen den bekannten Dissidenten Pfarrer Monn Ik-Hwan erhoben worden. Wie der taz mitgeteilt wurde, befindet sich auch die prominente Gewerkschafterin Lee Young Soon seit wenigen Tagen in Haft. Lee ist eine der Vorsitzenden des oppositionellen Dachverbandes „Nationale Demokratische Allianz“ und eine der bekanntesten südkoreanischen Gewerkschafterinnen.

Im vergangenen Jahr hatte Lee die Bundesrepublik besucht und in mehreren Veranstaltungen über die Situation der streikenden Arbeiterinnen bei Flair Fashion, der Tochterfirma des bundesdeutschen Textilkonzerns Adler, berichtet. Nach Lee war mehr als hundert Tage landesweit gefahndet worden, nachdem sie im Februar auf einer verbotenen Massenveranstaltung des südkoreanischen Bauernverbandes aufgetreten war. Nach Meinung von Beobachtern zeigt die gegenwärtige Verhaftungswelle, daß in der Regierung von Ex-General Roh Tae Woo ein heftiger Streit zwischen Reformern und Rechten ausgebrochen ist. Genau vor zwei Jahren, am 29. Juni 1987, hatte Roh mit der Vorlage eines acht Punkte umfassenden Demokratisierungsprogramms der Diktatur seines Vorgängers Chun Doo Hwan ein Ende gesetzt.

Nachdem nun landesweit Arbeiter, Studenten und Dissidenten erneut aufbegehren, scheinen die konservativen Ex-Militärs wieder auf altbekannte Mittel zurückgreifen zu wollen. In diesen Tagen werden im Durchschnitt wieder fünf Regimegegner pro Tag verhaftet. Das ist mehr als zu Zeiten Chuns.

150.000 sogenannte „linke Elemente“ stehen wie zu Zeiten der Diktatur wieder unter Polizeiüberwachung.

Jürgen Kremb