Postmoderner Sturm und Drang

■ „Winterwasser“, Stück und Regie: Nicholas Hause, 19 Jahre, im Gymnasium Achim

In „Troilus und Cressida“, das der Jugendclub des Bremer Theaters gerade auf die Bretter des Schauspielhauses stellte, ist er ein Achill, der die Tücke des Schlächters mit der Meditation des Zen-Philosophen verbindet. In dem Stück, das er zwischen Weihnachten und Ostern, zwischen Ideehaben und Abiturmachen, für seine Theater-AG am Achimer Gymnasium schrieb, bringt Nicholas Hause, 19 Jahre alt, noch ein bißchen mehr zusammen: Über zwanzig SchülerInnen zu einem Ensemble, das zuletzt sechs Stunden am Tag unter seiner Regie probte und jetzt mit Verve und Präzision die zum Panoptikum gewandelte Aula des Gymnasiums Achim bespielt; hingerissene Omas, Lehrer-und MitschülerInnen wissen nicht, wo ihnen der Kopf steht - gespielt wird nämlich vom Balkon, mit dem Fahrrad durch die Gänge, (da kann die Shakespeare Company mit ihrem Physiksaal mal ganz neidisch sein!) und oft genug im Publikum.

Zusammengebracht und aufeinandergetürmt werden in diesem „Potpourri in 13 Bildern“ alle Genres zwischen Revue, Ton -Bild-Collage, antikem Chor und experimentierendem Volkstheater. Aufgerührt werden so ziemlich die wichtigsten Probleme, die die Welt im Innersten auseinandersprengen: vom Ge

schlechterkampf bis zum Siegeszug des Packeises, von der Knechtung der Individuen durch StudienrätInnen und andere liebesfeindliche Agenturen bis zu Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

Das alles in kurzen Bildern, schnell hintereinandergeschnitten wie in Woody Allens Hektikerfilmen und aus Sprachmaterial, das Nicholas Hause tief aus dem Geschichtssteinbruch der Postmoderne gebaggert hat; mit Goethezitat, geilem, geknütteltem Schülerwitz („Du und ich und ich und Du, Du der Stier und ich die Kuh“) und etlichen existentiell-barocken „O Mensch! O Welt!„-Passagen. Aber selbst die nimmt man diesem hinreißend schülerklamaukenden und hinreißend ernsten Ensemble ab, ohne unvorgesehenes Kichern, mit viel Gelächter, schwer beeindruckt, allerdings auch ohne sehr nachwirkende Erschütterung. So jedenfalls habe ich dieses postmoderne Sturm und Drang-Stück gesehen. Da hat der Theater-Virus in Benno Iflands Jugendclubtheater-Schule einen so sehr erwischt, daß der Virus permanent überspringt und mutmaßlich weitere Infektionen verbreiten wird.

Wie Sie vielleicht bemerkt haben, ist es ein bißchen schwer, mitzuteilen, was genau eigentlich zu sehen ist. So eine Art SchülerInnenfaust vielleicht, mit Pro

und Epilog und einer Rahmenhandlung, in der Marianne dem Todesengel, der sie holen will, abluxt, nur mal eben „fünf Minuten“ ihr Leben Revue passieren zu lassen. Eben das Stück. Mit Marianne (Corinna Hahne) auf der Suche nach warmer Liebe in kalter Welt, durchgehend begleitet vom Chor verläßlich ungesunden Volksempfindens. Das waren sechs Damen in den drei Farben der Be-er-dee („2 x Abra, 2 x Babra, 2 x Cadabra“ laut Programm), ergänzt jeweils durch eine abweichende Meinung („Zebra“), den Feministen in lila Perücke. Dieser Chor und sein feministischer Schwanz agiert aus dem Plastiksack, in dessen Dunkel(n) gut Munkel(n) ist, jandlt gutverständlich, daß es eine Lust ist, übt den Eintritt in die Aufklärung (ist gleich “ der Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“) unter dem Kommando der Lehrerin im Exerzierschritt - und ist einfach Spitze. Und der aufrechte kleine Feminist, dem die Lehrerin nur noch durch Erwürgen beikommen kann, auch.

Überhaupt sind Faust und Mephisto ins Zeitalter der Wasserfrau übertragen. Faust-Mariannens Gegenpart ist konsequenterweise eine Anhängerin der schwarz-satanischen Negation, eine Gruftie, wunderbar und kotzverächtlich gespielt von Hanna Schwarz. Sie setzt gegen

Mariannes Suche nach Liebe und aufrechtem Gang die Kunst der Anmache, am Publikum eingeübt, und den erinnerungslosen Konsum: „Knutsch sie, küß‘ sie und vergiß sie.“

Da dies Potpourri außer einem großem Vergnügen auch ein Stück für das Erinnern sein soll, sollte man es nicht so schnell in der Erinnerung der Achimer verschwinden lassen, sondern nochmal zeigen.

Uta Stolle

Wird gezeigt! Auf der Breminale, Freitag, 7.7., 11 Uhr, im Schuppen (Weserwiese)