Der Sex und die Kirche

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(Das Kreuz mit der Moral, Filmbericht von Ulrike Bauer, 28.6., 22.45 Uhr, ZDF) Man muß den Standpunkt der katholischen Kirche referieren, um das Ausmaß seiner Ungeheuerlichkeit goutieren zu können. Die encyclica humanae vitae, vor 20 Jahren erlassen, ist, so macht der Filmbericht deutlich, in den Achtzigern - dem Jahrzehnt der weltweit erstarkenden Fundamentalismen - unter dem autoritär -reaktionären Papst Johannes Paul II. wieder von allererster Bedeutung: Künstliche Empfängnisverhütung ist Sünde. Das bekommen die Frauen in der Dritten Welt zu hören, deren Kinder bereits im Mutterleib an permanentem Eiweißmangel Schaden nehmen. Homosexualität ist Sünde, denn nur in der Ehe ist Sex moralisch, und zwei Männer - wie man weiß können sich nicht ehelichen. Johannes Paul hat noch einen draufgesetzt: 1986 ist Aids-Infizierten noch einmal der Gebrauch von Kondomen untersagt worden, damit auch heutzutage kein falscher Eindruck entsteht.

Empfohlen ist die „natürliche Verhütung“: Einfach bleiben lassen! Wer jetzt auf schmierige Gedanken kommt, etwa: Onanie ist Sex mit jemandem, den ich liebe, der liegt auch falsch. Onanie ist Sünde, da beißt Aids keinen Faden ab.

Also: kein Sex, außer in der Ehe natürlich, und das in einer Zeit, darauf macht die Autorin zu Beginn der Sendung aufmerksam, in der über jeden das Verdikt von Attraktivität, Potenz und Geilheit lebenslänglich verhängt wird.

Das klarste Statement in diesem eher faden Interviewbilderbogen, in dem katholische Sozialarbeiter und Jugendliche, Moraltheologen und Frauengruppen befragt wurden, kam von Alice Schwarzer. Für die Amtskirche und die christlichen Parteien ist Pornographie keine Frage der Moral, sondern der Macht. Und die ist weiterhin in den Händen frauen- und sexualfeindlicher, alter Männer.

Die überkommenen dogmatischen Positionen bleiben unhinterfragt, Positionen, die sich vor jeder Statistik in Nichts auflösen. 70 Prozent aller Eheleute gehen fremd, 95 Prozent haben vorehelichen Geschlechtsverkehr. In der Familie, dem Herzstück der katholischen Moraltheologie (Keimzelle und Rückgrat der Gesellschaft), werden jährlich 300.000 Kinder sexuell mißbraucht. Und was Empfängnisverhütung und Dritte Welt betrifft: Jede Minute sterben zehn Kinder. Kein Wort darüber im Filmbericht. Kein Wort auch über das marode Menschenbild der katholischen Theologie. Der Leib ist das Niedere, Tierische im Menschen, der Geist das Höhere, Göttliche. Der Geist ist fleischlos, der Körper geistlos! Daß die Vorstellung vom „geistlosen Körper“, die Jahrhunderte alte, geradewegs zum harten und dumpfen Sex unserer Tage führt, liegt auf der Hand. Kein Wort über die machtgeilen alten Männer in Kirche und Parteien, die ihre Aufmerksamkeit bevorzugt auf die Körperorgane der Frau richten.

Doch noch ist Rom nicht verloren. Die Äußerung eines katholischen Moraltheologen am Ende der Sendung gibt Anlaß zur Hoffnung. Sinngemäß sagt er, daß die Beschränkung kirchlicher Moral auf die Sexualmoral aufgehoben werden müsse, denn auch die großen Probleme der Menschheit wie Friede, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung müßten als Pflicht eines jeden Christenmenschen betrachtet werden. Weiter so!

ls