„Farben, Form und Dekor überdecken sich gegenseitig“

■ Eindrücke aus dem Blickwinkel des 20. Jahrhunderts zur Moskauer Gold-Ausstellung im Bremer Übersee-Museum / Noch bis 13. August

Zugegeben: Der Gegensatz zwischen den Ausstellungstücken „Das Gold aus dem Kreml“ und modernem Schmuckdesign des späten 20. Jahrhunderts, wie es etwa in der Werkstatt des Bremer Goldschmiede-Meisters Erich Hergert entworfen und ausgeführt wird, ist, wenn der Vergleich denn gestattet ist, gewaltig. Und ebenso unübersehbar war auch, wie Erich Hergert beim gemeinsamen Gang mit der taz-Reporterin durchs Übersee-Museum immer gerade auf die Stücke besonders flog, die eher zurück

haltend sind, klar beschränkt in Materialien und Farben.

Typisch für die Ausstellung aus den goldenen Schätzen der Moskauer Rüstkammer scheint eher das Gegenteil zu sein: der Versuch, Macht und Besitz der russischen Zaren mit Prunk und Pracht zu präsentieren, eine ganze Vielfalt von möglichst unterschiedlichen Materialien, Techniken, Steinen und Farben an und auf einem einzigen Objekt zu kombinieren. Etwa die Ikonen-Bekrönung, Nr. 12 (Zahlen im folgenden Katalog-und Ausstellungs

numerierung): Eine ganze Parade abgerundet polierter Edelsteine („Cabochons“) aller Farben (Saphire, Almandine, Turmaline, Smaragde, Türkis) liegen in terrassenförmig erhabenen Fassungen, die für sich noch versehen sind mit Wellenbändern außenrum und auf wiederum spiraligem Filigran -Boden stehen. Die mehrfach geschwungenen Außenformen sind überdies mit einer Schnur Flußperlen belegt, und keine Spitze, keine Kehle bleibt ohne Perle.

Von den drei Trinkgefäßen in

Schöpfkellenform („Kovs“) gefiel Erich Hergert das schlichteste, Nr. 20, am besten: Nur Form, Gold und sparsamer 'Niello'-Schmuck.

Bei der Niello-Technik, erklärt Hergert, einzigartig in ihrer russischen Vollkommenheit, wird das Metall graviert und muit einer schwarzen Legierung 8Silber, Kupfer, Blei) ausgefüllt, so daß sich Dekor oder auch Fläche nach dem Polieren schwarz vom goldenen oder silbernen Untergrund abheben.

Die beiden anderen Kovs (Nr. 32 und 61) gehen von der gleichen Grundform aus, zeigen aber dicke getriebene Adler, verschnörkelte Plaketten, Perlenschnüre und dick prangende Edelsteine. Hergert: „Die Schale (Nr. 32) ist in ihrer Form einzigartig schön, aber die Schrift ist sehr spielerisch aufgelöst, hat ihre Strenge verloren, und Form und Dekor überdecken sich gegenseitig.“

„Eines der schönsten Stücke“ ist für Hergert das Evangeliar (Nr. 25). Wie eine Spitzendecke feinster Golddrähtchen bedeckt Filigran den Boden, darauf goldgetriebene Figuren in den Ecken und der Mitte und wenige Edelsteine, „keine Perlenüberhäufung, kein Email“, beschrieb Hergert gerade mit dem Fehlenden, was ihm gefiel.

Wenn der Aufhänger eines Brustkreuzes das Kreuz stilistisch

verlängert, Farbe und Form wieder aufnimmt, anstatt mit wieder neuer Form und neu farbigem Edelstein noch ein Element zuzufügen, wenn bei liturgischem Gerät, Schalen und Tellern auf die gestaltende Kraft der Niello-Technik vertraut wird und Schwarz und Gold die die Gefäßflächen grafisch gestalten, wenn Proportion und Rhythmus zwischen dekorierten und freien Flächen erkennbar bleiben, nicht immer wieder neu wechseln, sondern erkennend wiederaufnehmen, dann ist Hergert begeistert.

Mit besonderem Vergnügen beobachtete er aber andererseits auch gerade die Konfrontation des norddeutschen, „protestantischen“ Publikums mit den üppigen Schätzen: „Die emailierte Schale (Nr. 44) ist nicht nur protzig, sondern auch farbig, lustvoll, sinnenfroh, provokant!“ Wer genau hinsieht, erkennt die auf das feinste emaillierten Allegorien der fünf Sinne mit Spiegel, Musik, einer Blüte, einem Falken - und dazu in der Mitte einem deftigen Griff in ein weibliches Decollete. Susanne Paa