In den Sand gesetzt

■ Das Märkische Viertel feiert 25jähriges Jubiläum

Die Separationskarte von 1707 verzeichnet zwischen Dalldorf und Reinickendorf die Rosenthaler Feldmark. Als man diesen Sandhügel 1932 zu bebauen beginnt, stoßen die Siedler auf Leichenbrandreste der bronzezeitlichen Urnengräberkultur.

Aus der Asche von einst ragen heute die Betonquader des Märkischen Viertels wie Relikte der Moderne in die kontextuelle Architekturlandschaft der Postmoderne. Von 1963 bis 1976 verbuddeln die städtebaulichen Planer Werner Düttmann, Hans Müller und Georg Heinrichs zusammen mit etwa drei Dutzend anderen Architekten fast eine Milliarde Mark im Sand der Rosenthaler Feldmark. Als 1963 die ersten Bagger losratterten, versprach das Märkische Viertel, einen konzeptionellen Ausweg aus der Zeilenbau-Monotonie und der Anonymität der „entflechteten“ Stadt anzubieten.

Die Planer wollten Urbanität, wollten Vielfalt statt Einfalt, Verflechtung statt Entflechtung, Verdichtung statt Entkernung. Eine neue Heimat wollten sie schaffen, für die Umsetzberliner aus den zerbombten Sanierungsgebieten und aus den tuberkuloseverseuchten Laubenwohnungen. Eine neue Heimat mit allem Drum und Dran: Wohnen, Arbeiten, Faulenzen - alles zusammen, nebeneinander und aufeinander im Betonkiez. Die Ringbauten der Scharoun-Schüler Lee und Schudnagies sollten verlorene Begriffe wie „Nachbarschaft“ zurückgewinnen, das poppige Blau und Rot in Fleigs „Papageienviertel“ sollte die grauen Betonvorurteile übertünchen, das Märkische Zentrum mit Kneipe, Kino und Super-Discount sollte den alten Marktplätzen der Rosenthaler Feldmark wieder Leben einhauchen.

Sie wollten und sollten - die Zwischenbilanz, Ende der Sechziger: Zerkratzte Fahrstühle, beschmierte Beton-Wälle, einsame Kinder, die in die Treppenhäuser pinkeln. Oder wie der Kritiker der 'FAZ‘, Eberhard Schulz, vermeldete: „Das asoziale Element, eben noch in seinem alten Stadtteil eingebettet, wurde hier laut.“

Aber weder das „asoziale Element“ noch Mehrwert-Formeln aus dem Rudi-Dutschke-Wörterbuch taugen als Erklärung für die Misere der simulierten Urbanität. Zum einen fehlte ganz einfach das Geld - was Gropius, Niemeyer und Aalto 1957 auf der Internationalen Bauausstellung in Berlin im Hansa -Viertel als sozialen Wohnungsbau hervorzauberten, war für das spröde Tageswerk der Wohnraummassenbeschaffung schlichtweg zu teuer. Außerdem rückte die öffentliche Hand ihr Geld nur sehr zögernd heraus - die Folge: keine Schulen, keine Kindergärten, keine Spielplätze. Dann pinkelt man halt ins Treppenhaus.

Zum anderen ist Heimat kein konstruierbares Artefakt. Heute, nach 25 Jahren, muß Nachbarschaft, muß Heimat, nicht mehr simuliert werden. Denn Heimat ist gemeinsame Geschichte, nichts anderes.

Thomas Langhoff