Diener des Volkes
■ Aivars Neibarts
Das lettische Volk lebte
wie jedes Volk lebt,
es säte den Wind
und erntete Sturm
feierte
die Sommer- und Winterfeste1.
Aber dann
kam der Diener des Volkes heranstolziert
und begann, dem Volke zu dienen
hingebungsvoll
knebelte er das Volk
schirrte es an
und von Zeit zu Zeit
gab er dem Volk die Peitsche zu schmecken
wie einem störrischen Pferd. Und jetzt
lebte das Volk
verändert;
man versetzte Berge,
verkehrte den Lauf der Flüsse,
gebärte Riesendünen2 und führte
viele Taten aus zur Freude
des Dieners des Volkes.
Und der Diener des Volkes wuchs an
zu Stalins Größe.
Der Diener des Volkes erblühte
strahlend und hell wie Stalin. Aivars Neibart
Das Gedicht wurde zuerst im September 1988 in der lettischen Zeitschrift 'Literatura un Maksla‘ ('Literatur und Kunst‘) veröffentlicht.
1 bezieht sich auf die Feste Jani, ein aus vorchristlicher Tradition stammendes Mittsommerfest, das national gefeiert wird, von den sowjetischen Behörden jedoch erst im letzten Jahr als Feiertag anerkannt wurde, und Weihnachten bzw. das Winterfest Ziemassvetki, ebenfalls aus vorchristlicher Zeit.
2 das lettische Wort für Dünen, kangras, heißt auch: Verräter.