UrlauberInnen werden nüchtern

■ Tourismus im europäischen Binnenmarkt: Nur ein Teil der Reiseveranstalter rechnet mit Umsatzsteigerungen

Teil 22: Thomas Gesterkamp

Die Fähre von Kiel auf die dänische Insel Langeland ist ein billiges Vergnügen. Nur fünf Mark pro Person kostet die zweieinhalbstündige Ostseetour, erheblich weniger als vergleichbare Schiffspassagen im dänischen Inlandsverkehr oder auf dem Mittelmeer.

Den Grund für den nicht kostendeckenden Dumpingpreis im hohen Norden bemerkt der Reisende spätestens, wenn er dem riesigen Duty-Free-Shop im Zwischendeck einen Besuch abstattet: Dichtes Gedrängel vor den weitläufigen Alkohol und Zigarettenregalen, lange Schlangen vor den Kassen, an denen nicht selten halbe Monatsgehälter über den Tisch wandern. Sprit- und Nikotinwaren sind in Skandinavien eben sehr viel teurer als in der Bundesrepublik - der zollfreie Ostseedampfer lädt zum Großkauf ein. Die vollgepackten Plastiktüten bei der Ankunft im dänischen Fischerhafen Bagenkop zeigen es überdeutlich: Nicht der Fährbetrieb an sich, sondern Duty-Free ist hier das große Geschäft. Wie lange noch?

Glaubt man den Absichtserklärungen zum europäischen Binnenmarkt, dann können die meisten zoll- und steuerfreien Läden auf den westeuropäischen Schiffen und Flughäfen bald dichtmachen. Nur der Alkoholhandel auf den Interkontinentalstrecken nach Amerika oder Fernost hätte dann noch eine Zukunft. Wenn die Zollschranken in EG-Europa wegfallen und die Steuersätze vereinheitlicht werden, verliert die Privatschmuggelei ihren Sinn: Die Preise für Wein oder Zigaretten würden sich in den EG-Ländern kaum noch unterscheiden.

Das freut den Dänen, der gerne Whisky trinkt, aber ärgert den deutschen Angler, der seit Zwanzig seinen dänischen Campingplatz ansteuert. Denn für viele Fährgesellschaften, die bisher vom Duty-Free-Handel gelebt haben, fällt diese Einnahmequelle langfristig weg. Als Folge werden die Tarife für die Schiffspassagen drastisch steigen.

Gemischte Gefühle und billige Flüge

Das befürchtete Ende des Duty-Free-Handels ist einer der Gründe, warum manche Reiseunternehmen dem magischen Termin „1993“ mit gemischten Gefühlen entgegensehen. Der geplante Binnenmarkt werde zu Preiserhöhungen in der Tourismusbranche führen, sagt eine Studie voraus, die unter anderem die niederländische Staatsfluglinie KLM und die britische Fährgesellschaft North Sea Ferries in Auftrag gegeben haben. Vor allem Flüge auf die Kanarischen Inseln und nach Portugal sowie Schiffstouren würden um bis zu 25 Prozent teurer, prophezeit die Untersuchung. Als Gründe nennt sie:

-Im europäischen Reiseverkehr soll künftig eine Mehrwertsteuer von durchschnittlich 6,5 Prozent gelten. Bisher ist der Transport zwischen den EG-Ländern steuerfrei, weil er nicht als Inlandsverkehr angesehen wird.

-Die geplante Brandstoffsteuer innerhalb der EG-Schiffahrt treibt der Studie zufolge die Kosten für Kreuzfahrten und Fährverbindungen um bis zu 30 Prozent in die Höhe.

-Aus dem bedrohten Duty-Free-Geschäft beziehen Fluggesellschaften und Reedereien bisher rund ein Sechstel ihrer Gesamteinkünfte.

Schon entwerfen europäische Reiseveranstalter ein düsteres Szenario: Wegen der höheren Kosten in der EG würden Chartergesellschaften demnächst nach Tunesien, Marokko oder in die Türkei ausweichen. Leidtragende wären vor allem Spanien, Portugal und Griechenland - jene Staaten der Gemeinschaft also, in denen der Anteil des Fremdenverkehrs an der nationalen Zahlungsbilanz besonders hoch ist. Die vorgesehenen zusätzlichen Abgaben, heißt es in der Untersuchung der Transportunternehmen, widersprechen daher den Absichten des europäischen Stützungsfonds, „dessen Ziel es ist, die touristischen Projekte in den südlichen EG -Mitgliedsländern zu fördern“.

Doch die negative Prognose scheint verfrüht. Bisher kann von Preissteigerungen im europäischen Tourismus keine Rede sein - im Gegenteil. Unter den westdeutschen Charterfliegern zum Beispiel ist ein erbitterter Konkurrenzkampf ausgebrochen, den Beobachter eigentlich erst für Mitte der neunziger Jahre vorausgesagt hatten. Seitdem die Kölner Mini -Gesellschaft Germania Urlaubsflüge etwa auf die Kanaren rund 20 Prozent billiger anbietet als die Konkurrenz, zwingen die großen Reiseveranstalter die Düsseldorfer LTU und andere Unternehmen, bei den Preissenkungen mitzuziehen. Auch die Lufthansa-Chartertochter Condor und die spanischen Billig-Anbieter Viva, Air Europa oder Hispania müssen sich anpassen.

Trend zur Fusion

Paul Lepach, Vorstandssprecher der Hannoveraner Touristik Union International (TUI), sagt einen „starken Druck auf die Reisepreise“ durch den kommenden Binnenmarkt voraus: „Die Urlauber werden bessere Konditionen erhalten.“ Zugleich aber befürchtet der Reisemanager „Wettbewerbsverzerrungen“ in Europa. Um angebliche „Standortnachteile“ auszugleichen, verlangen bundesdeutsche Anbieter eine vollständige Harmonisierung im europäischen Reise-, Steuer- und Niederlassungsrecht. Höhere Steuersätze, strengere Kartellgesetze und schärfere Haftungsbestimmungen, so ihre Argumentation, benachteiligten die einheimischen Veranstalter.

Beispiel Kartellrecht: Die TUI, mit einem Jahresumsatz von 3,3 Milliarden Mark bisher der größte Reiseveranstalter in Europa, muß sich neuerdings mit ebenso mächtigen Konkurrenten in den Nachbarländern herumschlagen. In mehreren EG-Staaten entstehen zur Zeit durch Fusionen neue Branchenriesen. Der englische Marktführer Thomson etwa hat sich mit dem drittgrößten Veranstalter Horizon zusammengeschlossen und beherrscht damit 50 Prozent des britischen Tourismusgeschäftes. In Dänemark wurde Tjaereborg an den bisherigen Hauptkonkurrenten Spies verkauft. Das neue Reiseunternehmen dominiert rund 80 Prozent des dänischen und ein Drittel des gesamten skandinavischen Marktes.

Preissenkungen oder Preisdiktat?

So entstehen auf nationaler Ebene Firmen, die fast ein Monopol besitzen - und dieses mit dem Konkurrenzkampf im europäischen Binnenmarkt legitimieren. Doch statt der versprochenen Preissenkungen durch mehr Wettbewerb in Europa kann auch ein Preisdiktat die Folge sein. Denn im Gegensatz etwa zum Flugverkehr wird der Tourismus auch langfristig ein im wesentlichen national begrenztes Geschäft sein. Zu verschieden sind, allen Nivellierungstendenzen zum Trotz, die kulturellen oder kulinarischen Interessen der europäischen Pauschalurlauber.

Im Neckermann-Hotel gibt es eben keine „Fish and chips“ und bei Thomson kein Eisbein mit Sauerkraut - von sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten ganz zu schweigen. „Mentalitätsunterschiede“ macht TUI-Chef Lepach dafür verantwortlich, daß „wir vom englischen Markt auch in Zukunft die Finger lassen“. Zwar glaubt der Reisemanager an eine verschärfte Konkurrenz um internationale Märkte immerhin 50.000 der 1,5 Millionen TUI-Kunden im vergangenen Jahr seien Ausländer gewesen. Die meisten bundesdeutschen Veranstalter aber verfolgen nicht die Strategie, Urlauber aus anderen Ländern in großem Stil abzuwerben: „Wir können unser Geld auch woanders verlieren.“