Ratlos - Hilflos - Haltungslos

■ Nach ersten Solidaritätsaktionen mit chinesischen StudentInnen ist die bundesdeutsche Linke abgetaucht

Warum kommt von der bundesdeutschen Linken so wenig an Aktionen gegen die Genickschuß-Politik der Pekinger Greisenriege? Wo bleibt die große Solidaritätsbewegung mit den Opfern der Pekinger Demokratiebewegung? Die Antworten sind vielfältig wie unbefriedigend. Angefangen von der bevorstehenden Sommerpause über die bereits von bürgerlicher Seite abgedeckten Menschenrechtsproteste bis hin zu ideologischen Enttäuschungen über den Verlust an sozialistischer Utopie - angesichts der Ereignisse in China und auch in der Sowjetuinion hat die Linke ihre Rolle noch nicht gefunden.

Irgendwie unzufrieden sind sie bisher alle, die in der vergangenen Woche der Rundruf „Welche Aktivitäten plant und macht ihr zu China?“ ereilte. Die Gespräche dauerten länger, waren kompliziert, wie das immer ist, wenn einem eigentlich vorhandenen Anspruch Unangemessenheit in der Einlösung gegenübersteht. Angesichts einer öffentlichen Debatte unter italienischen Linken, bei der KP-Chef Orchetto das „K“ im Parteinamen zur Disposition stellt und vom Doyen des liberalen Bürgertums, dem Philosophen Norberto Bobbio, gestoppt wird, angesichts eines Menschenrechtsaufrufs internationaler Linksintellektueller von Antonioni bis Ivens in 'Le Monde‘ - beides sicher auch landestypische Reaktionen - scheint die westdeutsche Linke unsichtbar, weggetaucht. Ist die Solidarität mit der chinesischen Demokratiebewegung, die Debatte über die Auswirkungen der Ereignisse am 3. und 4. Juni in China auf eigene Positionen und Haltungen kein Anliegen?

Experten-Borniertheit

Zunächst einmal ist festzuhalten: Selbstverständlich ist nicht gar nichts passiert. Von Hamburg bis Münster, von Berlin bis Freiburg, in Frankfurt und München gab es Demonstrationen, meist in Anlehnung und Unterstützung des direkten Protests und der Trauer von chinesischen StudentInnen in diesen Städten. Wir kennen die All-Parteien -Resolution des Bundestages - darin aufgehoben ein Gutteil grüne Position - und wissen um das Verdienst von Helmut Martin von der Ruhruniversität Bochum, die erste „Erklärung der China-Wissenschaftler zu den Ereignissen in China“ initiiert und in der 'FAZ‘ plaziert zu haben. Danach ist in der Öffentlichkeit erst einmal Sendepause in Sachen China -Solidarität und China-Debatte.

Internationalismus ist heute ein Feld für Expertentum, Weltgegenden sind wie Solidaritätsreservate abgesteckt, Berufsbezug zum Arbeitsfeld erleichtert die Lobby-Arbeit. Sicher, sie haben nicht geschwiegen zum Massaker auf dem Tiananmen-Platz, ob Nicaragua-Koordination in Wuppertal, Südostasien-Info-Stelle in Bochum oder der Akafrik in Münster. Auch der BUKO, die wichtigste, aber schwerfällige Koordinationsinstanz für entwicklungspolitische Gruppen, hat sich schon vor der nächsten Sitzung des Leitungsgremiums gerührt. Sie haben Erklärungen abgegeben und Protestresolutionen an die chinesische Botschaft in Bonn oder die Regierung in Peking geschickt. Thomas Siepelmeyer vom Akafrik teilte dem Botschafter in Bonn mit, „daß wir Ihre Regierung in Zukunft so behandeln werden, wie die südafrikanische, nämlich als eine, die kein Recht auf die Vertretung des chinesischen Volkes hat“.

Kein Handlungsbedarf für Linke?

Für die diversen Internationalismus-Gruppen ist es aber eine klare Sache, daß Initiative und Kontinuität der China -Solidarität bei den chinesischen Studenten selbst, den Sinologen und bei der Gesellschaft für Deutsch-Chinesische Freundschaft liegen wird und soll. Nachdem am 4. Juni eine Protestresolution nach Peking gefaxt worden war, hat eine Bundesdelegiertenkonferenz der Gesellschaft beschlossen, alle Beziehungen zu offiziellen Stellen in China einzufrieren. Thomas Heberer, Vorsitzender der GDCF, plädiert allerdings dafür, nicht staatliche Kontakte zu verstärken und so eine langfristige Solidaritätsarbeit zu unterstützen. Für eine differenzierte Diskussion tritt er auch in der Frage „Wirtschaftsboykott“ ein: „Wir wollen diejenigen unterstützen, die ökonomische und politische Veränderungen wollen, und die ökonomische Öffnung erfordert auch weiter Reisen und Kontakte.“ Selbstverständlich sammle die Gesellschaft auch Unterschriften gegen die Todesurteile. Kurzfristig sieht er hierfür aber keine Durchsetzungschancen. Zusammen mit dem Verband der chinesischen Studenten und Wissenschaftler in der BRD hat sich am 23. Juni ein Koordinationsausschuß „Solidarität mit China“ konstituiert, der bundesweit allen Organisationen offen stehen soll. Für den 7. Juli ist ein gemeinsames Treffen aller europäischen Freundschaftsgesellschaften geplant, wo über eine Initiative Eva Quistorps, MdEP, für ein gemeinsames europäisches Vorgehen beraten werden soll. Peter Schneckmann, in Frankfurt residierender Geschäftsführer der Gesellschaft, sieht eine Hauptaufgabe im Aufbau einer Infrastruktur für Solidarität. Daß auf 10 bis 15 Konten zu noch weitgehend unbestimmten Zwecken Geld gesammelt wird, findet er chaotisch.

Die linke Landschaft ist in den letzten 20 Jahren in der Bundesrepublik vielgestaltig und breiter geworden, es hat sich aber auch eine Arbeitsteilung etabliert, die Arbeitsbereiche und Aktionsfelder gegeneinander abschottet, und dadurch Borniertheiten Vorschub leistet.

Dazu kommt, die westdeutsche Linke befindet sich - auch bei der China-Solidarität in Positions-Kalamitäten. Regine Wlaffitschau vom „IZ 3W“ in Freiburg findet es selbstverständlich richtig, das Massaker in Peking zu verurteilen, „aber mit den Zielen dort kann man sich nicht solidarisieren“. Ähnlich wenig erkennt sich der unermüdliche Organisator internationaler Solidarität, Ton Veerkamp von der ESG in Berlin in den Zielen der Pekinger StudentInnen wieder, zumal er es auch noch nicht für erwiesen hält, daß die Demokratiebewegung tatsächlich spontan und nicht eine von der unterlegenen Fraktion der KP Chinas organisierte Aktion war. Als absoluter Gegner der Todesstrafe reiht er sich aber ganz klar in die Demonstrationen ein, allerdings: „Da ist dann auch ein großer Block von Studenten aus Taiwan, und ich wundere mich, mit wem ich da gehe“. Andreas Buro, Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie, sieht den Protest auf der Menschenrechtsebene durchaus von der bürgerlichen Öffentlichkeit abgedeckt, weshalb er für Linke in diesem Punkt keinen Handlungsbedarf ausmachen kann. Die Bewegung in Peking hat für ihn das Etikett „frühliberal“. „Für die Leute selbst mag das anders ausgesehen haben. Aber für eine sozialistischen Utopie waren da keine Impulse drin.“ Eine Anzeige mit dem Unterschriftenkartell des Komitees ist also nicht zu erwarten, „auch weil wir prinzipiell nur zu Inlandsthemen Stellung nehmen. Wir laufen nicht weg ins Internationale.“

Neben diesem post-demokratischen Verständnis linker Identität bremst ein längere Zeit unter der Decke gehaltener Streit die offene Diskussion: die immer noch heftige Kontroverse zwischen ehemaligen Spontis und früheren Maoisten/MLern über die Rolle Maos, die Kulturrevolution und die unkritische Euphorie für beide bei der Neuen Linken Anfang der 70er Jahre. Diese Altlast könnte endlich entsorgt werden. Nachdem der Hamburger 'Arbeiterkampf‘ mit dem Mao -Zitat „Rebellion ist gerechtfertigt“ seine Analyse der Situation vorgelegt hat, sind für die nächsten Ausgaben der linken Think-tank-Blätter 'Kommune‘ und 'links‘ Beiträge zum Thema angekündigt.

In der ersten Etappe der Entwicklung einer Solidaritätsbewegung mit den chinesischen Demokraten sind die Handlungsfelder augenscheinlich regional begrenzt. Nicht ohne Grund entpuppt sich Frankfurt derzeit als Zentrum: ein koordiniertes Vorgehen von Organisationen (Sozialistisches Büro, Linke Liste im Frankfurter AStA, GFDC) und Einzelpersonen hat dazu geführt, daß eine ab 7. Juli geplante China-Woche der Wirtschaftsförderungsgesellschaft in Frankfurt durch den rot-grünen Magistrat ohne neuen Termin verschoben wurde. Am gleichen Tag soll in Frankfurt eine große Demonstration stattfinden, am Tag darauf ist ein bundesweiter Solidaritätstag geplant, und am 9. Juli beginnt eine Mahnwache vor der chinesischen Botschaft in Bonn. Von diesen Aktionen soll eine überregionale Mobilisierung ausgehen. Mit der Verschiebung der China-Woche hätten die Grünen in Frankfurt „richtig reagiert“, meint Joscha Schmierer, ortsansässiger Aktivposten. „Initiativ sind sie aber bisher nicht geworden.“

Enttäuschung über die Grünen

Die Hamburger GAL laboriert derzeit an der Negativ-Erfahrung einer Diskussionveranstaltung am 19. Juni, zu der sie unter dem Vorzeichen „Information“ neben China-Experten linke Positionen außerhalb der eigenen Organisation abklapperte. „Mißglückt“ fand Isolde Rüter, Geschäftsführerin der GALierInnen, den Abend, und zwar vor allem wegen des Dogmatimus der MLer im Saal. Die innerlinke Diskussion liege damit erst mal auf Eis. Nachdem in Hamburg alle Fraktionen der Bürgerschaft die Städtepartnerschaft der Hansestadt mit Schanghai eingefroren haben, liegt wenig an, „weil alles schon gemacht ist“. Isolde Rüter berichtet weiter von Planungen zu einer Großdemonstration, eine Initiative, die angesichts des immer noch vorgesehenen Ausbaus der Stadt zu Europas größtem China-Handelszentrum Sinn macht. Allerdings: „Die breiten Massen müssen die Studentengruppen liefern. Die GAL kriegt Wähler, aber niemanden auf die Straße.“ Daran hat sich von Anfang bis Ende der Woche nichts geändert.

Bei den verschiedenen nur örtlich präsenten Gruppierungen macht sich den Grünen gegenüber Enttäuschung breit. Ihre fehlende Bereitschaft die unbequemen Themen anzupacken, zur Verallgemeinerung von Diskussions- und Informationsstand beizutragen, wird kritisiert. Hans Branscheidt von Medico International deutet die Zurückhaltung bei den Grünen so: „Die sind zu träge und tun nix, weil nicht mehr einfach zwischen Counter und Revolution unterschieden werden kann.“

Die Frage „Was tun“, um das Hauptanliegen weiterzubringen, nämlich Exekutionen und Verfolgung in China zu stoppen, ist tatsächlich kompliziert und verlangt unbedingt längeres Nachdenken auch über neue Formen von Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit. Es ist aber neben der Klarheit im Kopf die Konzentration auf diese Aufgabe, die Radikalität freisetzen könnte, die schnelle Gewöhnung an die neue chinesische „Normalität“ verhindert. Wenn die Grünen sich auf die parlamentarische Ebene konzentrieren, werden es andere sein müssen, die die Blockade von Joint-ventures oder ein neues Band Aid organisieren. Jetzt.

Georgia Tornow