„Nicht mehr schweigen“

■ Udo Zimmermanns Oper „Weiße Rose“ in Bremerhaven aufgeführt

„Wir haben nichts Besonderes getan, wir taten nur das Selbstverständliche: menschlich sein in einer Zeit, in der das Menschliche nichts mehr zählt.“ Was Hans und Sophie Scholl bei ihrer Verhaftung im Februar 1943 gesagt haben, beschreibt das Grundanliegen der Oper „Weiße Rose“ von Udo Zimmermann, die jetzt vom Stadttheater Bremerhaven vorgestellt wurde.

Der Aufführungsort hätte nicht besser gewählt sein können. Die Pauluskirche in Bremerhaven, ein neugotisch-romanischer Backsteinbau mit bauchigem Mittelschiff, sorgt für feinste Akustik, Wolfgang Cäsar hat vor den Altar eine nach hinten ansteigende Spielfläche gesetzt, die perspektivisch auf das Kreuz verweist. Auf der grauen Fläche zwei hölzerne Liegen als angedeutetes Zelleninventar. Regisseur Holger Klembt, betont den historischen Kontext des Geschehens, indem er zu Beginn Zitate aus der Anklagerede des Volksgerichtshofs einblendet und danach die zum Tode Verurteilten von Nazi -Schergen in den Kirchenraum führen läßt. Udo Zimmermann verzichtet auf jede Konkretion, das Spiel beschränkt sich auf innere Monologe der beiden Figuren, gesprochen und gesungen,

übereinander gelegt oder in Filmschnittechnik direkt aneinandergesetzt. Der Text besteht aus einer Kette von Assoziationen, Erinnerungen an Natur und Kindheitsbilder, Wunschträumen, Angstvisionen. Hans und Sophie sprechen und agieren nebeneinander her, das Alleinbleiben bestimmt auch die unvermittelten Umarmungen. Erst mit der Schlußsequenz „nicht schweigen, nicht mehr schweigen“ vereinen sie sich zum gemeinsamen Appell, den der Regisseur unnötig verstärkt, indem er Hans und Sophie Flugblätter der „Weißen Rose“ ins Publikum werfen läßt.

Es ist vor allem Udo Zimmermanns Musik, die dem Thema und der vorgestellten Situation jeden falschen Ton, jedes peinliche Pathos nimmt. Zimmermann setzt gegen die innere Erregung der Personen, gegen die wechselnden Stimmungen, eine betont meditative Musik, die nur in kurzen, rythmischen Orchesterzwischenspielen dramatisch aufgebrochen wird. Der Komponist arbeitet mit sparsamsten Mitteln, mit kurzen, immer wiederkehrenden, liedhaften Figuren. Timothy Simpson (Tenor) und Kirsten Blanck (Sopran) singen ihre langen Melodiebögen weitgehend ohne opernhaftes Vibrato.

Die 23jährige Sopranistin aus Lübeck bewältigt die höchsten Höhen, die ihr abverlangt werden, mit klarer Stimme und erstaunlicher Leichtigkeit. Die Bewegungen der beiden Protagonisten hätten manchmal weniger expressiv, weniger melodramatisch sein können (warum müssen sie unbedingt auf Knien in Richtung Kreuz rutschen, das zudem noch angestrahlt wird), aber solche Überakzentuierungen bleiben die Ausnahme. Das Spiel beschränkt sich auf Andeutungen, ist nur knappes, szenisches Material für Sprache und Musik, die von dem kleinen Ensemble unter der Leitung Wolfgang Otts präzise und klangschön geboten wird.

Ist „schön“ in diesem Zusammenhang ein angemessenes Wort? Ein Rezensent der Hamburger Uraufführung fragte 1986, ob „die Todesstunde der Geschwister Scholl ästhetisiert und veropert“ werden könne. Ist die Inszenierung in einem Kirchenraum eine mögliche Antwort? Der lange Beifall des Premierenpublikums galt einem in Bremerhaven außergewöhnlichen „Opern„abends. Die „Weiße Rose“ wird im Herbst wiederaufgenommen. Sie lohnt einen Besuch auch von weiter her. Hans Happe