„Uff die Leber“

■ Beim Boxen lernt man was fürs Leben / Einen Blumenstrauß für die Deutsche Staatsangehörigkeit

Die Aufforderung des Publikums an Michael Gusnick war eindeutig: „Uff die Leber, hau 'rein, du hast doch zwei Hände!“ Der tat sich schwer gegen Yasar Akyüz, stand aber nach drei Runden als Sieger nach Punkten fest. Am Bild der Meisterschaft änderte der Berliner Teilnehmer jedoch nichts: mehr eine türkische denn eine Berliner Meisterschaft bestritten die überwiegend aus der Türkei stammenden 33 Teilnehmer.

Eine einfache Begründung dafür hat Adnan Özcoban: „Boxen ist ein sehr harter Sport, zu hart für die Berliner.“ Özcoban besiegte seinen Gegner Tristan Crecelius durch Abbruch in der ersten Runde und steht damit im Finale am Freitag gegen seinen Landsmann Ilias Ilter. Seit neun Jahren lebt Özcoban in Berlin. Wenige Stunden vor seinem Kampf hatte er die vor einem Jahr beantragte deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, die notwendig ist für die Teilnahme an den Deutschen Mesiterschaften. Von offizieller Seite erhielt er dafür - noch im Ring stehend - einen Blumenstrauß.

Soziologisch ausgefeilter erklärt der Landestrainer des Berliner Boxverbandes, Gerhard Dieter, die mangelnde Kampfeslust der Berliner: „Die deutschen Familien haben höchstens zwei Kinder. Die sind das Kämpfen nicht mehr gewöhnt. Wenn sie heulen, kriegen sie einen Fernseher ins Zimmer. Bei den Türken sind es sechs oder acht Kinder. Da muß um jedes Spielzeug gekämpft werden.“

Während der vierfache Deutsche Mittelgewichtsmeister Sven Ottke seinen Gegner Michael Kalisch gleich in der ersten Runde mit zwei Kinntreffern derart ins Taumeln geraten ließ, daß der Ringrichter den Kampf abbrach, lobte der Trainer vor allem die Friedfertigkeit seiner Schützlinge: „Unter den Kämpfern herrscht viel Freundschaft und Kameradschaft, bei den Kämpfen geht es eigentlich immer sehr fair zu.“

Gesundheitliche Risiken?

„Ich habe selbst 288 Kämpfe bestritten. Wenn es danach ginge, müßte ich 'ne totale Macke haben.“ Neben dem gesundheitlichen Wert schätzt der Trainer vor allem den pädagogischen Effekt des Sports: „Die Kämpfer werden zur Disziplin erzogen. Im Ring darf nicht gesprochen werden. Eine falsche Entscheidung des Ringrichters muß der Kämpfer hinnehmen. Da lernt er was fürs Leben.“

Nicht jeder Kämpfer beginnt seine Laufbahn so spät wie der 29jährige Sahin Kahraman, der vor acht Jahren zum ersten Mal im Ring stand. Hier wurde er das Opfer des sechs Jahre jüngeren Thorsten Butterbrodt, der 14 von 20 Kämpfen bisher siegreich bestritten hat und auch diesmal einstimmig als Sieger nach Punkten hervorging.

Ab dem zehnten Lebensjahr nehmen Kinder bereits an Wettkämpfen teil. Dieter sieht darin keine gesundheitliche Gefährdung: „Eine richtige Ohrfeige zu Hause ist viel schlimmer.“ Dr. Wolfram Lemme, Arzt des Berliner Boxverbandes und des Deutschen Amateur-Box-Verbandes, hält für dieses Alter ein spielerisches Aufbautraining für angebrachter. Der Arzt setzt sich für die Festlegung einer Altersgrenze ein, die Kinder unter 14 Jahren den Wettkampfsport verbietet. Für Erwachsene besteht ab dem 37. Lebensjahr Wettkampfverbot.

Natürlich bestehe, so der Arzt, bei einer Kampfsportart ein erhöhtes Verletzungsrisiko: „Abgesehen von den akuten Verletzungen vor allem im Gesichtsbereich kann es zu langfristigen und chronischen Schäden im orthopädischen Bereich kommen. Vor allem die Kapseln der Fingergrundgelenke sind bei unsauberer Schlagtechnik gefährdet.“ Psychische Schäden seien bisher keine bekannt: „In einer Langzeitstudie mit Verlaufsbeobachtung und psychischen Tests ergaben sich nach acht Jahren keinerlei Auffälligkeiten gegenüber der Kontrollgruppe“, so Dr.Lemme.

Die Sicherheitsbestimmungen in der Bundesrepublik hält Dr. Lemme für ausreichend: „Der Ringarzt kann hier jederzeit den Kampf abbrechen. Auf internationaler Ebene muß er die Zustimmung des Obersten Schiedsgerichts einholen.“ Die Einführung der Kopfschutzpflicht ab August dieses Jahres befürwortet er, auch wenn einige seiner Kollegen dagegen sind, „weil sie glauben, daß die Kämpfer damit leichtsinniger werden. Doch die Schutzwirkung des Helmes steht unbestritten fest. Ein Teil der beim Schlag einwirkenden Energie wird absorbiert.“

Wie der Trainer so lobt auch der Arzt die Fairneß und Kameradschaft unter den Sportlern. Durchaus freundschaftlich gehen die Boxer jeweils vor und nach den Kämpfen miteinander um; mit viel Händeschütteln und Schulterklopfen verabschiedete auch Halbschwergewichtler Rene Deutschmann seinen Gegner Naser Diab, der ihm nach Punkten unterlag. Deutschmann trifft im Finale auf Butterbrodt, Ottke wird es mit Metin Kurucelik zu tun haben.

danni