Gehupft wie gesprungen

■ Deutsche Meisterschaften in Springen und Dressur / Die feinere Gesellschaft zwischen Sekt und Pferdeäpfeln / Keine Überraschungen, sondern gepflegte Langeweile im Berliner Reitstadion

Wahrscheinlich hatten wir die Sache falsch verstanden, aber es war eine unvergeßliche Nacht. Irgendwie waren wir in den Nachtstunden der letztjährigen Olympia-Übertragung ins Military-Springturnier hineingeschlittert, und seitdem wälzten wir uns wiehernd vor Lachen auf dem Teppich. Die Pferde an jenem Tag waren denkbar übellaunig und sprungfaul. Sie galoppierten schnurstracks in die sorgsam aufgebauten Hindernisse, blieben im Wassergraben wie angewurzelt stehen und schüttelten ein ums andere Mal den lästigen Reitersmann ab. Diese vielfältigen Abgänge, das panische Festkrallen des Reiters an der Mähne, die hilflosen Ruderbewegungen der Rotjacken auf dem bockenden Pferd, die unsanften Landungen auf dem Hosenboden trieben uns unwiderstehlich die Tränen in die Augen. Hier rächte sich die domestizierte Natur und schlug mit aller Tücke zurück. Seitdem also sind Springturniere ein fester Bestandteil meines Fernsehsportprogramms, und am Wochenende trabte ich brav zum Berliner Reitstadion, begierig auf die Fortsetzung des Kampfes zwischen Mensch und Pferd.

Meine heitere Vorfreude wurde jedoch rasch von der schnarchlangweiligen Atmosphäre der Veranstaltung getrübt. Während sich das gewöhnliche Volk beim Trab- und Galopprennen trifft, den speckigen Hut ins Genick geschoben, Zigarette und Wettschein zwischen den Fingern, den Bierbauch gegen den Zaun gelehnt, so versammelte sich im Reitstadion zu Springen und Dressur die feinere Gesellschaft. Man kam nicht aus Kreuzberg und Neukölln, sondern aus Frohnau, Dahlem und Zehlendorf. Man trug gedeckte Farben, ausschweifende Hüte und Krawattennadeln. Man flanierte. Man hüstelte pikiert, wenn ein Pferd vor dem Wassergraben zurückscheute. Man brach nicht in albernes Kichern aus und versuchte nicht, auf den nächsten Sturz zu wetten. In zwanglosen Gruppen standen Zahnärzte, Rechtsanwälte und Gymnasiallehrer beisammen, nippten an ihrem Sekt, schauten bei der betriebenen Konversation immer leicht am anderen vorbei (kenn ich auch aus etlichen „szene„-begebenheiten. meinste vielleicht, die, „wir“, sind grundsätzlich anders? alles bloß neid? sezza). „Ach, Sie selbst besitzen kein Pferd?“, und bewegten gelegentlich die Handflächen ineinander, um so etwas wie Applaus zu erzeugen. In den Pausen wurde flotte Marschmusik gespielt, dann zwirbelte man den Kaiser-Wilhelm-Bart und sprach über die gute alte Kavallerie. „Wo haben Sie denn gedient?“. Man (und im übrigen wohl auch frau? sezza) blieb unter seinesgleichen und schlenderte zwischen Verkaufsständen herum, die Reits tiefel, Ölgemälde von jachternden Pferden und „Horse Fitform„-Leckerwürfel feilboten. Die heile Welt der Pferdenarren.

Auf dem Parcours wurde denn auch nicht Wettkampf und Sport gezeigt, sondern Naturbeherrschung am Beispiel des Pferdes. Das befriedigte offenbar nicht nur pubertierende Mädchen, sondern auch Vertreter des oberen Mittelstandes. Bei der Dressur werden vorgeschriebene Bewegungsmuster nach ihrer Perfektion bewertet, wobei durchaus zirkusreife Leistungen geboten werden; doch auch im Zirkus wäre es etwas langweilig, zwanzig Pudel hintereinander Männchen machen zu sehen oder Elefanten dauernd beim Kopfstand zu beobachten. Die Pferde traben, tänzeln, versammeln sich, zeigen hübsche Pirouetten und wackeln herzig mit dem Köpfchen, wohlerzogene Diener ihrer Reitherren. Die selbst sprechen von der „Seele des Reitsportes“ und haben damit nicht ganz unrecht.

Beim Springen ist es die Aufgabe des Reiters, sein Pferd über etwa siebzehn Hindernisse zu treiben, die es normaler und vernünftigerweise elegant umlaufen würde. Auch dahinter steht also eine Menge Dressur. Die in letzter Zeit ins Gerede gekommenen Dressurmethoden beim Springreiten (nägelbeschlagene Balken; benzingetränkte Lappenwickel für die Fesseln, um den Berührungsschmerz zu steigern; der während des Sprungs angehobene Balken; vom Doping zu schweigen) haben das Bild der heilen Reiterwelt etwas durcheinandergebracht, sind aber während der Meisterschaften natürlich kein Thema. Jeder hat davon gehört, „aber hier passiert sowas nicht, das ist nur Panikmache“. Die meisten leben von der Pferdezucht und wickeln nebenher noch ihre Geschäfte ab.

Auf dem Parcours gab es keine Überraschungen. Der Kreis der Favoriten blieb bis zum letzten Tag zusammen. Franke Slothaak stürzte zwar auf Walzerkönig, blieb aber auf Argonhut dabei, der Lokalmatador Dirk Hafemeister zeigte einen starken Anfang mit The Freak, Dirk Schröder führte mit Lacros nach dem zweiten Tag, und auffällig war die bestechende Form des 18jährigen Deister, von Paul Schockemühle geritten. Der Altstar des Springens, der jedesmal, wenn ich vorbeikam, irgendwas „Scheiße“ fand, wurde von seinem alten Klepper butterweich über alle Hindernisse gehoben und vermasselte sich eine klare Führung durch Flüchtigkeitsfehler. Ein glänzender Abwurf gelang Armani, der in der Mitte des zweiten Umlaufs seinen Reiter abschüttelte („Bodenberührung“ nennt es die Turnierleitung) und auch die folgenden Hindernisse abräumte. Der durch die ungewohnten Bodenwellen und Abgänge etwas tückische Berliner Parcours machte besonders den jungen Pferden zu schaffen, die dann kurz vor dem Ziel entnervt in den Wassergraben trampelten. Aber der große Pferdeaufstand blieb dann doch aus.

Der Anblick eines massigen Pferdleibes, der in drei Metern Entfernung in voller Fahrt, mit gespitzten Ohren, aufgerissenen Augen, muskelstrotzend über eine Drei-Sprung -Kombination setzt, schnaufend und keuchend sich hochreißt und dann wieder fängt, so ein Anblick ist zuweilen schon atemberaubend. Springpferde sind Kämpfernaturen mit einem eisernen Willen, die Hindernisse zu besiegen, und der Reiter obenauf kann nicht mehr tun, als den richtigen Rhythmus und Angang zum Hindernis zu geben. Doch die derzeitige Entwicklung im Springreiten, besonders beim Mächtigkeitsspringen und in der Military, ist eine Überforderung der Pferde, die die bewundernswerte Kraft und Eleganz der Tiere ausreizt zum Ruhm einiger Starreiter.

Ein Massensport wird das Sprungreiten in absehbarer Zeit nicht werden, und so haben die Neuköllner beipielsweise schon eine andere Form der Naturaneignung entdeckt: In der Kneipe „Zum Roßkopp“ werden leckere Pferdefleisch-Gerichte serviert.

Olga O'Groschen